AfD organisiert «Michel, wach endlich auf!» in Hamburg

[Original erschienen unter https://exif-recherche.org/?p=5680]

Am Sonntag, dem 14. April 2019, versammelten sich am Hamburger Bahnhof Dammtor etwa 100 Rechte zu einer Kundgebung unter dem Motto: «Michel, wach endlich auf!». Dies war ein erneuter Versuch, mit rechten Inhalten den Hamburger Raum zu erobern. Bereits im letzten Jahr hatte der gleiche Kreis mehrfach Aufmärsche im Zentrum durchgeführt, die unter dem Motto «Merkel muss weg» (MMW) angekündigt wurden. Neben dem bekannten und mehrfach verurteilten rechten Hetzer Michael Stürzenberger aus Bayern, standen am vergangenen Sonntag die AfD-Politiker Steffen Reinicke und Johannes Salomon aus Mecklenburg-Vorpommern am Mikrofon. Salomon nutze die Bühne für Wahlkampfzwecke und rief mit den Worten „Ich bitte um eure Stimme für die Partei der Vernunft“ dazu auf, am 26. Mai bei der Europawahl die AfD zu wählen.

Neben Holocaustleugner Wolfram Schiedewitz, dem NPD-Landesvorsitzenden Lennart Schwarzbach und der NPDlerin Nelia Kiss, nahm auch der Chef des deutschen Ablegers der «Identitären Bewegung» (IB), Daniel Fiß aus Rostock, am Sonntag an dem Aufmarsch teil. Erst kürzlich wurde bekannt, dass die AfD in Mecklenburg-Vorpommern mehrfach hohe Geldbeträge an Fiß überwiesen hat, was die Farce des Unvereinbarkeitsbeschluss der Partei erneut verdeutlicht.

Der harte Kern

Richtungsweisend für die Aufmärsche ist weiterhin der Neonazi Thomas Gardlo. Neben ihm sind nicht nur rechte Schläger, wie etwa der ehemalige Fremdenlegionär Slaven Hirsch, in die Organisation eingebunden, sondern auch einige AfD-Mitglieder. Nennenswert ist dabei Reiner Bruhn, Kandidat der AfD zur Kommunalwahl im Landkreis Ludwigslust-Parchim (Mecklenburg-Vorpommern), sowie Ralph Eitelbach, AfD-Kandidat im Kreis Stormarn (Schleswig-Holstein), die beide von Anfang an die MMW-Kundgebungen organisatorisch unterstützen.

So ist Eitelbach regelmäßig als Ordner bei den Versammlungen eingesetzt. Die Koordination der Ordnerstruktur übernimmt dabei in Hamburg der Neonazi Thorsten Kempf. Schon Anfang der 2000er Jahre fiel Kempf als Kunde eines Neonazi-Versandhandels auf. Dass die aufgebaute Ordner-Struktur von MMW eng an die AfD angebunden ist, zeigte sich schon beim AfD-Wahlkampfauftakt zur Europawahl am 30. März 2019 im Lübecker Rathaus. Dort waren sowohl Kempf als auch Eitelbach abermals als Ordner tätig. Reiner Bruhn fungierte am Sonntag am Bahnhof Dammtor als Anmelder und steht auch im Impressum der neuen Facebookseite «Heimat-Patriotismus-Zukunft», über die für die extrem rechte Kundgebung mobilisiert wurde. Bruhn begleitete nahezu jede MMW-Kundgebung im letzten Jahr und zählte schon früh zum harten Kern des Orga-Kreises.

 

Verbindung zur Hamburger AfD

Der Hamburger Landesverband ist darauf bedacht, sich öffentlich von der Veranstaltungssreihe abzugrenzen. Trotz zahlreicher Aussagen der Hamburger AfD, dass es keine Verbindungen zu den Hamburger «Merkel muss weg»-Aufmärschen gebe, lassen sich zahlreiche Verstrickungen nachweisen. So waren am Sonntag zwei Mitglieder vom Vorstand der AfD-Eimsbüttel anwesend: Sven Freitag (Beisitzer) und Martin Lemke (Schriftführer und Kandidat der AfD zur Bezirkswahl in Hamburg). Die Beiden, die seit der ersten Stunde an den MMW-Aufmärschen teilnahmen, waren auch organisatorisch an der Kundgebung am Sonntag beteiligt. Sie kümmerten sich um den Abtransport der Technik. Bei seiner Ankunft begrüßte Sven Freitag zudem den Neonazi Thomas Gardlo freundschaftlich per Handschlag. Ebenfalls in die Organisation der Kundgebung eingebunden war das AfD-Mitglied Diana Hinz. Sie erstellt regelmäßig einen Live-Stream der Veranstaltungen und war am Sonntag für die Betreuung von Henryk Stoeckl zuständig. Auch die Schriftführerin der AfD in Wandsbek, Marion Meiners, war am Sonntag Nachmittag vor Ort.

Die Nähe der Hamburger AfD zu den MMW-Aufmärschen war schon im letzten Jahr deutlich geworden. Einer der Teilnehmenden aus den Reihen der Partei, Ulrich Lenz, sorgte im Oktober 2018 als „AfD-Messermann“ für Schlagzeilen. Er hatte einen Mann mit einem Messer attackiert, als dieser rassistische Hetzflyer von einem AfD-Infostand wischte.

Weitere AfD-Mitglieder, die bereits bei den extrem rechten «Merkel muss weg»-Aufmärschen teilgenommen haben, kandidieren aktuell für die Bezirksversammlungswahl am 26. Mai 2019 in Hamburg. Etwa der AfD-Kandidat für den Bezirk Altona, Tobias Steinhaus. Mit seinem Bruder Christoph Steinhaus, der bei der extrem rechten Gruppe «Identitäre Bewegung» aktiv ist, nahm er auch an einer Veranstaltung von Alexander Gauland in Hamburg teil. Auch der aktuell für die Bezirksliste Hamburg-Nord aufgestellte Kandidat der AfD, Martin Rudolf Rohweder, war Teilnehmer der MMW-Verstaltungen. Ebenso wenig Berührungsängste zur extremen Rechten hat das für die AfD in Bergedorf kandidierende Paar Karl-Peter und Marianne Winkelbach. Im letzten Jahr teilten beide mehrmals den MMW-Kundgebungsplatz u.a. mit Mitgliedern der Neonazi-Partei NPD.

Moritz Lahn, ehemaliges Bezirksvorstandsmitglied der AfD Hamburg-Nord und Gründungsmitglied des AfD-Landesverband Hamburg, übernimmt mit seinem Projekt «Nobel & Frei» die Medienarbeit der Partei. Neben Videoberichten von Landesparteitagen, Diskussionsveranstaltungen und parteinahen Aufmärschen werden in dem Format auch Videos der Hamburger «Merkel muss weg»-Aufmärsche veröffentlicht. So sorgt Lahn mit «Nobel & Frei», neben den vielen anderen rechten Bloggern, für die Verbreitung und Mobilisierung in rechten Kreisen. Christian Minaty, der u.a. für das Bundesministerium der Verteidigung und für die Hamburger Bürgerschaft arbeitete, ist Mitverantwortlicher des Video-Projekts.

Eines der AfD-Mitglieder, der oft verkleidet an den MMW-Aufmärschen teilnahm, ist der Rechtsanwalt Peter Wolfslast. Seine Teilnahme an den vom Verfassungsschutz beobachteten Veranstaltungen ist nicht wenig brisant, denn Wolfslast ist als Mitglied in die Deputation der Justitzbehörde der Hansestadt Hamburg gewählt worden und hat so Einfluss auf bedeutende Entscheidungen.

Beim MMW-Aufmarsch am 5. März 2018 nahm auch das Bezirksvorstandsmitglied der AfD, Miguel Venegas aus Hamburg-Harburg, teil. Er reiste dort mit Petra Federau und weiteren AfDlern aus Mecklenburg-Vorpommern zur Kundgebung an. Venegas fiel schon als Besucher einer Veranstaltung des Vereins «Staats- und Wirtschaftspolitischen Gesellschaft e.V.» am 16. Juni 2016 auf. Dort teilte er sich u.a. den Saal mit dem Hamburger NPD-Kader Thomas Wulff, während der Geschichtsrevisionist Stefan Scheil einen Vortrag hielt.

AfD-Support aus anderen Bundesländern

Im Gegensatz zum Hamburger Landesverband bringt sich die AfD aus Mecklenburg-Vorpommern offen in die extrem rechte MMW-Veranstaltungsreihe ein. Wiederholt wurden Fahrgemeinschaften gebildet um die Aufmärsche personell zu unterstützen. Auch Redner wurden entsandt, wie etwa Dennis Augustin (Sprecher des AfD Landesverbandes in Mecklenburg-Vorpommern), Johannes Salomon (Beisitzer im Kreisvorstand Rostock) und Steffen Reinicke (Beisitzer im Kreisvorstand Rostock). Begleitet wurden diese unter anderem von Holger Arppe, Petra Federau, Dirk Lerche (Mitglied der AfD Fraktion in Mecklenburg-Vorpommern) und dem stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Christoph Grimm.

Unterstützung bekommt die Hamburger Veranstaltungsreihe aber auch von der AfD aus Schleswig-Holstein. Annette Walther, derzeit als Fraktionslose Mitglied im Stormaner Kreistag, ist treue und regelmäßige Besucherin der rassistischen Aufmärsche. Am 7. November letzten Jahres stieg Walther auf die berühmt gewordenen Getränke-Kisten der Kundgebung und hielt eine Rede. Wie scheinheilig ihre Forderung nach einem Rücktritt von Arnulf Fröhlich (Fraktionsvorsitzender AfD-Stormarn) ist, weil dieser 1990 an einer Neonaziveranstaltung teilnahm, wird hier offensichtlich. Dass sie in Hamburg regelmäßig mit Neonazis an den Veranstaltungen teilnimmt, lässt ihren Vorstoß gegen Fröhlich nur als konkurrierendes Geschacher um Spitzen-Posten wirken.

Ebenso regelmäßiger Unterstützer aus Schleswig Holstein ist der AfDler Daniel Buhl aus Elmshorn. Einige Male begleitete er die Kundgebung bereits mit einem Live-Stream. Diese Online-Veröffentlichungen dienen den Rechten, die geringe Zahl der Teilnehmenden zu kompensieren. Hohe Klickzahlen sorgen außerdem für eine virtuelle Bestätigung imaginierter Relevanz der vermittelten Inhalte.

Ohne AfD kein Michel

Dass der AfDler Reiner Bruhn aus Mecklenburg-Vorpommern aktuell maßgeblich die Organisation der «Michel, wach endlich auf!»-Kundgebungen übernimmt, lässt einige Rückschlüsse zu. Offensichtlich ist es nicht möglich ein Orga-Team allein aus Hamburg aufzustellen. Die Arbeit müssen Externe übernehmen – Mitglieder der AfD aus Norddeutschland. Aus taktischen Gründen hält sich die Führungsspitze der AfD in Hamburg offiziell zurück, doch zeigt die hier aufgeführte Recherche, dass zahlreiche AfD-Mitglieder aus Hamburg hinter den rassistischen Kundgebungen stehen und diese unterstützen. Eine Analyse der gesamten rassistischen Kundgebungsreihe 2018 zeigt zudem, dass AfD-Mitglieder nicht nur regelmäßig teilnehmen, sondern stets auch tragende Funktionen inne haben. Dadurch drängt sich die Frage auf, ob die MMW- bzw. Michel-Reihe überhaupt ohne die strukturgebenden Kräfte der AfD funktionieren würde.

Auch dem Hamburger Verfassungsschutz sind die Entwicklungen der Gruppe aufgefallen. Laut Behörde stehen hinter den «Michel, wach endlich auf!»-Kundgebungen dieselben Organisatoren, wie schon bei «Merkel muss weg». Sie seien „eindeutig der rechtsextremistischen Szene“ zuzuordnen. Wie hier dargelegt besteht der Organisations-Kreis überwiegend aus AfD-Mitgliedern. Was die Einordnung des Geheimdienstes für die Hamburger AfD bedeutet, wird sich zeigen.

Abschließend kann festgehalten werden, dass sich erneut der bundesweite Trend der Rechten auch in Hamburg bestätigt: Der rechte Konsens gegen „Islamisierung“, „Klimawandelreligion“ und angebliche Massenzuwanderung von „Asylforderern“ funktioniert organisations-und spektrenübergreifend. So stehen auf der rechten Kleinstkundgebung AfDler Seite an Seite mit Holocaustleugnern, IB-Kadern und NPD-Mitgliedern.

14.04.2019, «Michel, wach endlich auf!»-Kundgebung: Wolfram Schiedewitz (Bild 1), Nelia Kiss (Bild 2), Lennart Schwarzbach (Bild 3) – Quelle: Pixelarchiv
14.04.2019, «Michel, wach endlich auf!»-Kundgebung: Wolfram Schiedewitz (Bild 1), Nelia Kiss (Bild 2), Lennart Schwarzbach (Bild 3) – Quelle: Pixelarchiv
05.03.2018, Thomas Gardlo (links), Reiner Bruhn (rechts) und Thorsten Kempf (mit Rücken im Bild) im Gespräch mit der Polizei
05.03.2018, Thomas Gardlo (links), Reiner Bruhn (rechts) und Thorsten Kempf (mit Rücken im Bild) im Gespräch mit der Polizei
05.09.2018, Ralph Eitelbach (mit Ordnerbinde) im Gespräch mit Thorsten Kempf (Chefordner) und Reiner Bruhn – Quelle: Pixelarchiv
05.09.2018, Ralph Eitelbach (mit Ordnerbinde) im Gespräch mit Thorsten Kempf (Chefordner) und Reiner Bruhn – Quelle: Pixelarchiv
14.04.2019, «Michel, wach endlich auf!»-Kundgebung: Sven Freitag (links) und Martin Lemke (rechts) beim Abbau der Technik – Quelle: Pixelarchiv
14.04.2019, «Michel, wach endlich auf!»-Kundgebung: Sven Freitag (links) und Martin Lemke (rechts) beim Abbau der Technik – Quelle: Pixelarchiv
26.03.2018, Ulrich Lenz (Bildmitte) bei «Merkel muss weg»-Kundgebung
26.03.2018, Ulrich Lenz (Bildmitte) bei «Merkel muss weg»-Kundgebung
26.03.2018, «Merkel muss weg»-Kundgebung: Karl-Peter und Marianne Winkelbach (Bild 1) und Martin Rudolf Rohweder (Bild 2) – 19.02.2018, «Merkel muss weg»-Kundgebung: Tobias Steinhaus (Bild 3)
26.03.2018, «Merkel muss weg»-Kundgebung: Karl-Peter und Marianne Winkelbach (Bild 1) und Martin Rudolf Rohweder (Bild 2) – 19.02.2018, «Merkel muss weg»-Kundgebung: Tobias Steinhaus (Bild 3)
05.09.2018, Moritz Lahn mit Videokamera bei der «Merkel muss weg»-Kundgebung – Quelle: Pixelarchiv
05.09.2018, Moritz Lahn mit Videokamera bei der «Merkel muss weg»-Kundgebung – Quelle: Pixelarchiv
Peter Wolfslast bei «Merkel muss weg»-Kundgebungen am 19.02.2018 (Bild 1), am 05.09.2018 (Bild 2) und bei «Michel, wach endlich auf!»-Kundgebung am 14.04.2019 (Bild 3)
Peter Wolfslast bei «Merkel muss weg»-Kundgebungen am 19.02.2018 (Bild 1), am 05.09.2018 (Bild 2) und bei «Michel, wach endlich auf!»-Kundgebung am 14.04.2019 (Bild 3)