[MV] Güstrow: “Frei sein von fremden Menschen”

In Güstrow macht die rechte Szene seit Monaten gegen Flüchtlinge mobil. Angriffe, Angst und Abweisung gehören zum Alltag von Asylsuchenden. Es gibt jedoch auch Unterstützung, und mit einer Demonstration am 6. Dezember soll ein klares Zeichen gegen Rassismus und rechte Gewalt gesetzt werden. Mittlerweile mobilisieren Neonazis zu einer Gegendemo.

 

Nils Matischent ist kein guter Redner. Er läuft nervös umher, wenn er in das Mikrofon spricht, vergräbt eine Hand in der Hose oder schwingt Arme und Beine in die Luft. Mal überschlägt sich die Stimme des NPD-Politikers, wenn er seine Tiraden gegen Flüchtlinge abspielt, dann kommt er ins Schwafeln, oder aber er ringt nach Worten. So, als ob er gar nicht versteht, warum er seinen Rassismus noch rechtfertigen muss. Als ob er des Redens schon längst überdrüssig ist.

 

Auch die wenigen anderen Rechten um ihn herum geben ein eher klägliches Bild ab, wenn sie ihre Neonazi-Fähnchen in die Luft strecken, sich an Transparente klammern und ihre Reden ins Mikrofon bellen. Doch sie sind ausdauernd: Bereits im März 2013 machte die rechte Szene Güstrows mit einem Aufmarsch gegen die Unterbringung von Asylsuchenden in der Stadt mobil. Nun finden seit Wochen regelmäßig kleinere Kundgebungen statt, ob in der aufgeräumten Innenstadt oder auf einer Wiese zwischen zwei Plattenbauten, und im Oktober wälzte sich ein Fackelmarsch von knapp 100 Rechten durch den Ort. Güstrow ist einer der Orte in Mecklenburg-Vorpommern, in denen die Mobilisierung gegen Flüchtlingsheime zum Betätigungsfeld aktionistischer, lokal orientierter Neonazis geworden ist.

 

Für ihre Gewalttätigkeit ist die Szene bekannt. Seit Jahren kommt es in der Stadt immer wieder zu Angriffen auf MigrantInnen oder politische GegnerInnen. Diffamierungen im Internet sind alltäglich, das Haus des Bürgermeisters wurde bereits mit Drohungen beschmiert, nicht-rechte Jugendliche wurden auf dem Schulweg von Vermummten verprügelt. Seit vor zwei Jahren die Diskussion um neue Flüchtlingsunterkünfte begonnen hat, richtet sich die Gewalt gegen Asylsuchende: Eine Unterkunft wurde vor der Eröffnung mit Buttersäure angegriffen, nach dem Einzug der Bewohner folgten Attacken mit Böllern. Als dabei ein Feuer ausbrach, breitete es sich nur durch Zufall nicht weiter aus und verletzte niemanden.

 

Die Neonazi-Szene in Güstrow: Aktiv und vielfältig

 

Der Kreis jener Neonazis hinter der rassistischen Agitation wirkt überschaubar. Neben Nils Matischent etwa tritt regelmäßig der 33-jährige Sebastian Kloß (NPD) auf, als Redner, Verantwortlicher von Flugblättern oder in Verbindung zu einer Internetseite, die Lokalpolitiker und Journalisten diffamiert. Die rechte Szene in der Region allerdings ist weitläufiger, hat einschlägige Bands wie Painful Awakening und Ungebetene Gäste hervorgebracht, die auch außerhalb der Landesgrenzen bekannt sind. Dieses regionale, durch persönliche Kontakte verbundene Umfeld konnte zu der Demonstration im Oktober erfolgreich mobilisiert worden. Bemerkenswert gegenüber ähnlichen Aufzügen in Bützow im Juli oder Ueckermünde im März ist, dass die Veranstaltung ohne erkennbare Unterstützung des NPD-Landesverbandes oder eine nennenswerte Beteiligung auswärtiger Neonazis stattfand.

 

Gewalt ist in diesen Kreisen akzeptiert: Selbst Matischent, der sich bereits seit fünf Jahren als NPD-Lokalpolitiker gibt, ist bereits mit einer langen Liste von Straftaten aufgefallen. Zuletzt wurde die „Stimme der Vernunft für Güstrow“, wie er auf Wahlplakaten heißt, zwar für Diebstahl und Hehlerei zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Der 24-jährige Mitarbeiter einer Rostocker Speditionsfirma ist jedoch auch wegen gefährlichen Körperverletzungen, Hausfriedensbruch und Volksverhetzung polizeibekannt, hat zudem eine Betreuerin von Flüchtlingen bedroht. Dass aus diesem Umfeld die rassistischen Übergriffe erfolgen, scheint offensichtlich.

 

Ihre Übergriffe versucht die Szene im Internet zu rechtfertigen, wo sie sich bereits seit Monaten in Rage redet. Doch über den rechten Rand hinaus haben in einschlägigen Facebook-Gruppen Hunderte jene üblichen Halbwahrheiten und Lügen gegen Flüchtlinge abonniert, in denen Deutsche zu Opfern einer drohenden „Überfremdung“ und MigrantInnen zu BetrügerInnen und Kriminellen halluziniert werden. Meldungen über Gewalttaten aus dem gesamten Bundesgebiet werden hier gerne aufgebauscht und mit Gerüchten aus der Region vermengt. Mit etwas gesundem Menschenverstand entpuppen sich die Schlagzeilen schnell als Propaganda – und selbst einige Neonazis weisen schon darauf hin, dass es sich um Falschmeldungen handelt. So oft, wie sie jedoch inzwischen im Internet und auf den Straßen Güstrows zu hören sind, können sich die entmenschlichende Sprache und die diffamierende Hetze langsam in den Debatten in der Stadt festsetzen.

 

Hetze im Internet: Gerüchte, Halbwahrheiten und Lügen


Latenter Rassismus kann durch die unentwegte Propaganda weiter radikalisiert werden, die Hemmschwelle zu Gewalttaten sinkt. In den vergangenen Monaten häuften sich bereits Attacken auf Asylsuchende: In Groß Lüsewitz verübten Neonazis einen Brandanschlag auf eine Unterkunft, in Anklam, Schwerin oder Neubrandenburg wurden Flüchtlinge auf der Straße überfallen, in Strasburg eine Wohnung mit Böllern und Sylvesterraketen angegriffen.

 

Die Neonazi-Szene hat sich in ihrem Wahn aus Hetze und Gewalt eingerichtet. Je größer, beängstigender und gefährlicher ihr Feindbild des Flüchtlings aufragt, umso heldenhafter erscheint der Widerstand der angeblich niedergehaltenen und benachteiligten Deutschen, von Nils Matischent und seinen Kumpanen. „Wir wollen frei sein von fremden Menschen“, tönten sie bei einer ihrer Demonstrationen in Güstrow, „frei von Angst, frei von Gewalt“. Dabei sind sie es, die Ängste schüren, das gesellschaftliche Klima vergiften und auch vor Übergriffen nicht zurückschrecken.

 

Für die Betroffenen sind die Angriffe traurige Höhepunkte eines Alltags, der von Benachteiligung und Ausgrenzung gekennzeichnet ist. Die meisten kommen aus Ländern wie Syrien, Afghanistan, Eritrea oder dem Iran, wo sie Kriegen, Bürgerkriegen oder Verfolgung entflohen sind. Nach den Erfahrungen in den Orten ihrer Herkunft und einer auszehrenden und lebensgefährlichen Flucht sind viele traumatisiert, hoffen auf Hilfe, etwas Ruhe und eine Perspektive in Frieden und Freiheit. Das Leben in den Gemeinschaftsunterkünften beklagen viele als Belastung – isoliert von der Bevölkerung, ohne ausreichende Möglichkeiten, Deutsch zu erlernen oder Kontakt zu Einheimischen aufzunehmen. Stattdessen berichten viele Flüchtlinge von Anfeindungen, von einer Stimmung auch in Güstrow, die sie als beängstigend, unfreundlich und abweisend beschreiben.

 

Stimmung gegenüber Flüchtlingen beängstigend, unfreundlich, abweisend


Zumindest gibt es GüstrowerInnen, die sich um eine Kultur der Offenheit und Akzeptanz bemühen. Sie veranstalten Feste mit den Asylsuchenden, helfen diesen bei Ämtergängen, bieten Sprachkurse an. Und sie gehen gegen die Neonazis auf die Straße: Bis zu 250 Menschen protestierten gegen den Fackelmarsch der Rechten im Oktober, auch deren Kundgebungen treffen manchmal auf Widerworte. Die Zahl dieser Aktiven aber könnte größer sein, die Unterstützung aus der Politik, der Verwaltung, dem benachbarten Rostock spürbarer. Und zuweilen werden sie sogar angegangen, wenn die Polizei bei Demonstrationen etwa statt der Hetzredner der Rechten sie als „StörerInnen“ ansieht und entsprechend behandelt.

 

Auch im Zusammenhang mit der gerade eröffneten Flüchtlingsunterkunft in der Güstrower Südstadt ist mit weiterer Propaganda und Gewalt durch die Neonazi-Szene zu rechnen. Die diffusen Ängste vor den Asylsuchenden werden sich zwar im Alltag, wie schon an so vielen anderen Orten, schnell als unbegründet herausstellen. Engagement und Unterstützung sind jedoch notwendig, um den Neuankömmlingen die Ankunft zu erleichtern und nachbarschaftliche Beziehungen zwischen ihnen und den alteingesessenen GüstrowerInnen aufzubauen. Wenn die Flüchtlinge als Teil der Stadt akzeptiert sind, werden Neonazis schnell merken, dass sie keinen fruchtbaren Boden für ihre Parolen finden.

 

Neonazis den Boden entziehen


Zahlreiche Initiativen aus ganz Mecklenburg-Vorpommern wollen dies mit einer Demonstration am 6. Dezember in Güstrow unterstützen. Gegen Rassismus und für ein klares Bekenntnis zum Asylrecht als Menschenrecht wollen sie ein Zeichen setzen und jenen den Rücken stärken, die sich für Asylsuchende einsetzen. Flüchtlinge wollen zugleich aus ihrem Alltag berichten und eine Verbesserung ihrer Rechte einfordern. Die Neonazi-Szene mobilisiert bereits mit martialischen Aufrufen gegen die Aktion, hofft auf geringe Beteiligung und versucht die TeilnehmerInnen pauschal als Auswärtige ab zu tun. Sie fürchtet sich zu Recht, denn ein sichtbares und breites Zeichen gegen Rassismus konterkariert ihren Irrglauben, Sprachrohr einer schweigenden Mehrheit zu sein.

 

Zu wünschen ist den GüstrowerInnen und den Flüchtlingen allemal, dass das Engagement gegen Rassismus sichtbar und nachhaltig bleibt und den Neonazis damit die Luft ausgeht. Denn die Auftritte von Nils Matischent und seinen Kumpanen sind eigentlich niemanden zuzumuten, weder Alteingesessenen noch Neuankömmlingen.

Nils Matischent (NPD, 3. v.l. am Transparent mit hochgeschobener Sonnenbrille) auf einer NPD-Demo im März 2013 in Güstrow | Foto: Hans Schlechtenberg
Nils Matischent (NPD, 3. v.l. am Transparent mit hochgeschobener Sonnenbrille) auf einer NPD-Demo im März 2013 in Güstrow | Foto: Hans Schlechtenberg
Nils Matischent (kariertes Hemd) auf einer NPD-Demo am 1. Mai 2014 in Rostock | Foto: Hans Schlechtenberg
Nils Matischent (kariertes Hemd) auf einer NPD-Demo am 1. Mai 2014 in Rostock | Foto: Hans Schlechtenberg
Sebastian Kloß (NPD), beim Flyerverteilen in Güstrow (2010) | Foto: Screenshot
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