Die angeklagte Administratorin des ehemals größten Neonazi-Forums legte ein Geständnis ab, doch der Vorsitzende Richter in Rostock zeigte nur begrenzt Interesse.
Von Andrea Röpke
Am fünften Verhandlungstag gegen das „Thiazi-Forum“ spielte die als Rädelsführerin beschuldigte Daniela W. zunächst ihr Spiel vor dem Landgericht Rostock. Etwa zwei Stunden lang zog die 33-jährige ehemalige Administratorin aus dem baden-württembergischen Untereisesheim eine Show ab: Sie verbarg sich, gab sich einsilbig und tat, als wenn sie dem Prozess kaum folgen könne. Dann nach einer Pause und Ermahnungen ihres Anwaltes, zeigte sie erstmalig ihr Gesicht, entschuldigte sich für ihr vorheriges Verhalten und wurde redselig. Für einen Tag.
Der begann damit, dass sich die Mutter einer Tochter zunächst angeregt mit dem Hauptangeklagten Klaus-Dieter R., einem Erzieher aus Barth, der neben ihr saß, unterhielt. Beide kannten sich bis zum Prozess angeblich nicht persönlich. Ihnen wird – gemeinsam mit Denny S. und Dominik S. – vorgeworfen, langjährige Mitglieder in einer kriminellen Vereinigung gewesen zu sein, weiterhin geht es um den Tatbestand der Volksverhetzung in mehreren hundert Fällen. R. alias „wpmp3“ gilt als derjenige, der bei „Thiazi“ das letzte Wort hatte. Obwohl er vor der Polizei eine umfassende Aussage gemacht haben soll, ist er der einzige der vier Angeklagten, der vor Gericht kein Geständnis ablegen will.
Ehemalige Administratorin „Fjörgin“
Die öffentlichkeitsscheue Daniela W., die vom Mitangeklagten R. mal als „Programmierkätzchen“ bezeichnet wurde und vor allem zuständig für die Server war, will an diesem Vormittag erstmalig im Prozess aussagen. Doch die junge vermummte Frau blockt nur. Gibt sich unbedarft und unwissend, spielt den weiblichen, nahezu autistischen Technik-Nerd. Sagt Sätze wie: „Ich bin Technikerin, will weiter keinen Kontakt. Ich bin nicht gerne unter Menschen.“
Nein, sie habe sich keine Gedanken über die rassistischen und volksverhetzenden Liedtexte gemacht, die indiziert waren und über „Thiazi“ vielen Interessierten zugänglich gemacht wurden. Nur wenn es um technische Details geht, geht sie aus sich heraus. Dabei wird schnell klar, dass die ehemalige Administratorin namens „Fjörgin“ sehr viel wissen muss und viel Verantwortung trug. Sie verschärfte die Sicherheitsvorkehrungen nach dem ersten Outing einer „Moderatorin“ durch die Autonome Antifa Freiburg.
Die mit einem Neonazi verheiratete Hausfrau verließ das Gymnasium nach der 10. Klasse und absolvierte eine Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau. Seit 2004 sei sie erwerbslos, nicht arbeitssuchend und dennoch im Besitz eines stattlichen monatlichen Nettoeinkommens. Eine Rechte will sie nicht sein, im Gegenteil, sie wollte nur ein Forum mitschaffen, in dem alle Meinungen diskutiert werden könnten. Der Inhalt der Beiträge habe sie kaum interessiert.
An der „Geburtsstunde“ des „Thiazi-Forums“ beteiligt gewesen
Die Vernehmung durch den Vorsitzenden Richter Goebels ist zäh und schleppt sich dahin. Gegen Mittag ist Pause. Wie verwandelt kommt die Angeklagte aufgeregt und schnellen Schrittes zurück. Nun möchte sie sich in die Mitte des Saales setzen. Erstaunt beobachten Medienvertreter, wie sie ohne Kapuze selbstbewusst auf den Zeugenstuhl zuschreitet. Eine schlanke Dunkelhaarige ist erkennbar. Attraktiv und zierlich, durchaus selbstbewusst.
Sie verkündet, sie habe nicht alles „hundertprozentig so gesagt, wie es gewesen sei“. Ja, sie wusste, dass es ein rechtes Forum gewesen sei. Sie habe Rechtsrock-Titel gesucht und sei so bei „Thiazi“ gelandet. Ihr damaliger Freund stand der Szene nah, sie wurde gerade volljährig. Dann sei sie Moderatorin, danach vorerst geheime Administratorin geworden. Endlich konnte sie zeigen was in ihr steckt, erhielt Lob. Schließlich habe sie sogar neben R. die „meisten Rechte“ innerhalb der Struktur von „Thiazi“ innegehabt. Technisch wäre ohne sie „nichts gegangen“. Während der Richter sichtlich genervt ist und schon mal von „wpmpDingsda“ spricht, wird die Angeklagte geradezu pathetisch, sagte stolz: „Ein Server ist fast wie ein Kind!“
Nun räumte sie ein, an der „Geburtsstunde“ des „Thiazi“-Forums beteiligt gewesen zu sein, nachdem sie zuvor bereits im technischen Bereich des deutschen Forums von „Skadi“ mitgewirkt habe. Wegen zunehmender indizierter Liedtexte sei es zur Trennung mit „Skadi“ gekommen. Klar, sie habe die Songs gekannt. Immerhin 252 strafbare Lieder werden auch ihr vorgeworfen. Insgesamt war sie „zehn oder zwölf Jahre“ bis zur Beschlagnahmung durch die Polizei 2012 dabei. Ihre Entscheidung war es, „das Netz“ abzuschalten, als die Beamten vor der Tür standen. Der Mitangeklagte R. wandte sich während ihrer Aussagen demonstrativ ab.
Lieder unter dem Fallbeil „staatlicher Zensur“
Obwohl W. sich bereit zeigte, Fragen zu beantworten, würgte der Richter die Befragung plötzlich ab. Am nächsten Tag wird W. sich wieder vermummen, ihre Antworten werden wieder zurückhaltender sein. Kurz danach zeigte sich Denny S. geständig. Er sei kurz nach der Gründung von „Thiazi“ 2007 dazugekommen. Er wurde „Bereichsbetreuer“ und spezialisierte sich auf Musik. Ihn interessierten die Songs, die es am „freien Markt“ nicht gab. Der junge Mann aus Sachsen-Anhalt sorgte mit dafür, dass die Lieder, die unter das Fallbeil „staatlicher Zensur“ fielen, Fördermitgliedern von „Thiazi“ zugänglich gemacht wurden. „Für uns war das normal, solche Musik zu hören“, räumt S. ein, die Szene versorgte ihn damals mit verbotenen Alben.
Heute ist er „raus“, arbeitet „ehrenamtlich gegen Rechtsextremismus“ , sagt S. Auch Dominik S. aus Karlsruhe gibt sich geläutert. Er kam mit 15, 16 Jahren zur rechten Szene. Hatte zuvor „Ärger mit Ausländern“, schrieb viel in Foren und wurde schließlich „Betreuer“ bei Thiazi. Dort fühlte er sich wohl, fand Anerkennung durch Gleichgesinnte. 2011 wurde es ihm dann „zu dumm“ er löste sich nach sechs Jahren vom Netzwerk.
Dieser fünfte Prozesstag verwirrte einerseits durch den Auftritt der weiblichen Hauptangeklagten, andererseits aber auch durch das nicht nachvollziehbare Wirrwarr, welches Richter Goebels schuf. Er unterbrach die Aussagen ständig, hielt daraufhin langatmige moralische Belehrungen, die Angeklagten sollten noch mal „in sich gehen“, ging dabei selbst überhaupt nicht auf Fragen nach dem politischem Hintergrund der redewilligen Beschuldigten ein.