Mit Kunstobjekten und Debatten setzt Rostock in dieser Woche Zeichen des Gedenkens an die Katastrophe vor 25 Jahren. Jeden Tag wird ein Denkmal enthüllt.
Rostock. Die Bilder gingen vor 25 Jahren um die Welt: Am 24. August 1992 belagerten Hunderte Jugendliche und Erwachsene das „Sonnenblumenhaus“ im Rostocker Stadtteil Lichtenhagen. Aus der Menge heraus wurden Steine und Brandsätze geworfen. Etwa 150 Menschen konnten sich nur durch Flucht auf das Dach des Hauses vor dem Feuer retten, darunter 120 Vietnamesen, ein ZDF-Team und einige Rostocker. Dies war der traurige Höhepunkt der vom 22. bis 26. August 1992 andauernden ausländerfeindlichen und rassistischen Krawalle vor der Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber im „Sonnenblumenhaus“ und dem benachbarten Wohnheim für Vietnamesen.
Die Rostocker Bürgerschaft entschuldigte sich vor fünf Jahren, zum 20. Jahrestag der Ausschreitungen, in einer Erklärung bei den Opfern. Rund 150 Menschen hätten damals um ihr Leben fürchten müssen, während Rechtsextremisten aus ganz Deutschland, aber auch Tausende Rostocker Beifall klatschten, hieß es darin. Die in der Verantwortung stehenden Behörden von Bund, Land und Kommune hätten versagt.
Die Ereignisse dürften weder verdrängt, noch beschönigt oder vergessen werden. Die Aufarbeitung sei ein immerwährender Auftrag.
Einen weiteren Schritt des Gedenkens will Rostock in diesem Jahr vom 22. bis 26. August mit einer Gedenkwoche gehen. In diesen Tagen sollen fünf Stelen aus Marmor in verschiedenen Stadtteilen eingeweiht werden, die die Künstlergruppe „Schaum“ zum Thema „Gestern Heute Morgen“ gestaltet hat. Diese Künstlergruppe besteht aus Alexandra Lotz und Tim Kellner.
Die fünf Kunstobjekte tragen die Titel „Politik“, „Medien“, „Gesellschaft“, „Staatsgewalt“ und „Selbstjustiz“. Aufstellt werden sie vor dem Rathaus, dem Verlagsgebäude der OSTSEE-ZEITUNG, am ehemaligen Standort des „JugendAlternativZentrums“, an der Polizeiinspektion und beim „Sonnenblumenhaus“. Damit will die Stadt das Konzept des dezentralen Erinnerns und Mahnens „Lichtenhagen 1992“umsetzen.
Begleitend werden an den verschiedenen Erinnerungsorten dokumentarische Songtexte live aufgeführt. Diese „Gesangsstücke“ haben die Künstler Stefan Krüskemper, Oscar Ardila und Michaela Nasoetion gemeinsam mit Rostocker Einwohnern entwickelt. Sie sollen, so die Stadtverwaltung, ein lebendiges Gedenken sein.
Zum Auftakt der Gedenkwoche gibt es am Dienstag (22. August) um 17 Uhr eine Veranstaltung in der Marienkirche, der evangelischen Hauptkirche Rostocks. Dazu wird auch der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, erwartet. Die Krawalle von Rostock-Lichtenhagen 1992 hatten sich auch gegen Sinti und Roma gerichtet.
Politikwissenschaftler und Studenten der Universität Rostock hatten vor fünf Jahren in einer Publikation auf die besondere Rolle der Sinti und Roma hingewiesen. Die als „Zigeuner“ Bezeichneten seien in den Wochen vor Lichtenhagen „als Fremdgruppe in den Medien aufgebaut“ worden, heißt es dort. In den Lokalzeitungen seien die Roma unter anderem als „schmutzig“, „kriminell“ und „asozial“ bezeichnet worden. „Der Antiziganismus der Bevölkerung hat das Pogrom entfacht.“ Im Verlauf der Ausschreitungen habe sich dann ein allgemeiner Rassismus breit gemacht, wie der Angriff auf die Unterkunft vietnamesischer Vertragsarbeiter zeige.
In ihrem Text hatten die Politikwissenschaftler auch einen dauerhaften Ort des Erinnerns und Gedenkens an die Ereignisse von Lichtenhagen gefordert. Erste Schritte dazu waren im August 2012 unternommen worden. Doch die Friedenseiche, die als Erinnerungszeichen beim „Sonnenblumenhaus“ gepflanzt worden war, war noch im selben Monat von unbekannten Tätern abgesägt worden. Auch die am Rathaus angebrachte Gedenktafel wurde nur wenige Monate später, im Dezember 2012, von Unbekannten abgeschraubt. Die Tafel wurde ersetzt, der Baum jedoch nicht. Die Gefahr, dass er erneut abgesägt wird, erschien der Stadt zu groß.
CHRONOLOGIE
Die fremdenfeindlichen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen 1992 schockierten die Welt und hinterließen in der öffentlichen Wahrnehmung ein verheerendes Bild der Hansestadt. Hier eine kurze Chronologie der Ereignisse:
Sonnabend, 22. August
Etwa 2000 Menschen versammeln sich am Abend vor dem Sonnenblumenhaus. Ab 20 Uhr werfen rund 200 Jugendliche und Erwachsene zertrümmerte Betonplatten auf die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber (Zast) und das Wohnheim der Vietnamesen. Anwohner applaudieren den Randalierern. Gegen sie haben die nur 30 eingesetzten Polizisten keine Chance. Erst ab etwa 2 Uhr können zusätzliche Polizeieinheiten und zwei Wasserwerfer aus Schwerin die Randalierer zurückdrängen.
Sonntag, 23. August
Gegen 12 Uhr versammeln sich etwa 100 Randalierer vor der Zast. Immer mehr Rechtsextremisten aus ganz Deutschland kommen nach Lichtenhagen. Einheiten des Bundesgrenzschutzes und der Hamburger Bereitschaftspolizei rücken an. Ab 17.30 Uhr attackieren rund 200 Jugendliche erneut das Asylbewerberheim sowie das Wohnheim und stürmen Teile des Sonnenblumenhauses. Die Polizei wird mit Steinen, Molotowcocktails, Leuchtraketen und Signalmunition angegriffen.
Montag, 24. August
Bis 15 Uhr wird die Zast evakuiert, die vietnamesischen Bewohner bleiben jedoch zurück. Hunderte Gewalttäter greifen die Polizei zwischen der Zast und dem S-Bahnhof an. Beamte setzen vereinzelt die Schusswaffe ein. Gegen 21.25 Uhr werden die Einheiten vom Sonnenblumenhaus zurückgezogen. Gewalttäter setzen mit Molotowcocktails das Wohnheim der Vietnamesen in Brand. 150 Menschen sind eingeschlossen: vietnamesische Familien, Rostocker und ein ZDF-Team. Ein Wasserwerfer der Polizei macht der Feuerwehr bis 23 Uhr den Weg frei, damit diese den Brand löschen kann. Die Eingeschlossenen retten sich indes über das Dach in einen anderen Teil des Gebäudes.
Dienstag/Mittwoch, 25./26. August
Etwa 1200 Gewalttäter attackieren erneut Polizisten in Lichtenhagen. Erst ab Mittwoch gegen 2 Uhr kontrolliert die Polizei die Lage. Bei den mehrtägigen Ausschreitungen gab es glücklicherweise keine Toten. Verletzt wurden 204 Polizisten, davon einer schwer.
„Gestern Heute Morgen“: Jeden Tag wird in Rostock ein Denkmal enthüllt
22. August 18.30 Uhr: Das Kunstobjekt „Politik“ wird vor dem Rathaus am Neuen Markt eingeweiht.
23. August 17.30 Uhr: Das Kunstobjekt „Medien“ wird vor dem Medienhaus der OSTSEE-ZEITUNG in der Richard-Wagner-Straße eingeweiht. Um 18.00 Uhr folgt im großen Saal eine Podiumsdiskussion zu den Themen „25 Jahre Lichtenhagen: Die Verantwortung der Medien“ und „25 Jahre Lichtenhagen: Die Rolle der Polizei“ mit Innenminister Lorenz Caffier (CDU). Dazu gibt es eine Ausstellung mit Berichten aus der OZ zu den Ereignissen von Lichtenhagen 1992.
24. August 17 Uhr: Das Kunstobjekt „Gesellschaft“ wird am ehemaligen Standort des „JugendAlternativZentrums“ an der Ecke Hermannstraße/August-Bebel-Straße eingeweiht. Schüler der Jenaplan-Schule stellen Ergebnisse eines Workshops vor.
25. August 17 Uhr: Das Kunstobjekt „Staatsgewalt“ wird an der Polizeiinspektion Ulmenstraße eingeweiht. Die Polizei lädt zu einem World Café. Rund 40 Teilnehmer, darunter Migranten und angehende Polizisten, sprechen über die Geschehnisse 1992.
26. August 14 Uhr: Das Kunstobjekt „Selbstjustiz“ wird nahe des Sonnenblumenhauses, Höhe Mecklenburger Allee 18, eingeweiht. Der Verein „Bunt statt braun“ lädt zu einem „Tag der Vielfalt“ mit Präsentationen zu Integration und Antidiskriminierung sowie ab 18 Uhr mit Musik.