[HGW] Es gibt kein Ende der Geschichte - Wir schreiben sie weiter!

[HGW] Es gibt kein Ende der Geschichte – Wir schreiben sie weiter!

[Original erschienen unter https://de.indymedia.org/node/81015] Was für ein Tag! Vielen Dank an alle! Mit euch (250 Teilnehmer_innen) war es uns möglich unsere Inhalte gestern trotz widriger Umstände kraftvoll auf die Straße zu tragen. Natürlich heißt es auch jetzt: weiterkämpfen. Lasst die gewonnene Energie nicht einfach so verpuffen.

In diesem Sinne: Kampf dem Kapital, jetzt und für immer!
Für mehr Solidarität gegen Faschismus!

An dieser Stelle wollen wir noch einmal für euch unseren Redebeitrag zum Thema 30 Jahre Mauerfall dokumentieren, denn

Es gibt kein Ende der Geschichte! Wir schreiben sie weiter

Knapp drei Jahre nach der Wende sorgte das Buch Das Ende der Geschichte von Francis Fukuyama für Schlagzeilen. Darin stellte er die Behauptung auf, dass sich nach Zusammenbruch der UdSSR und der sozialistischen Bruderstaaten, Demokratie und Marktwirtschaft als konkurrenzlos durchgesetzt hätten. Die Sieger der Blockkonfrontation griffen diese These dankend auf und bis heute wird sie von Hinz und Kunz als Volksweisheit wiederholt. Während Kritiker*innen am kapitalistischen System vor ´89 in Westdeutschland noch an den Kopf geworfen wurde: Dann geh doch rüber, wenn’s dir hier nicht passt!, setzte sich nach ´89 das Dogma von der Alternativlosigkeit des Kapitalismus durch.

Doch zunächst ein Blick ins Heute

Sommer 2019 in Brandenburg: Unzählige, große blaue Wahlkampfplakate säumen die Einkaufsmeilen der Städte und die Dorfstraßen im Hinterland. Mit Slogans wie „Vollende die Wende“ und „Wir sind das Volk“ versucht die „Alternative für Deutschland“, den angestauten Frust der Menschen in eigene Wählerstimmen umzuformen. Und tatsächlich gelang es der rechtsextremen Partei schließlich, ihr Ergebnis im Vergleich zur vorangegangenen Wahl zu verdoppeln und nun die zweitstärkste politische Kraft im Brandenburger Landtag zu sein.

Das Bundesland ist in dieser Entwicklung allerdings kein Einzelfall, es steht vielmehr beispielhaft für die Situation in allen sogenannten „neuen Bundesländern“. Als einzige Partei, die sich dem Thema „Wendefrust“ so ausführlich anzunehmen scheint, rennt sie offene Türen bei vielen Ostdeutschen ein, die auch 30 Jahre nach dem Mauerfall noch immer mit den damit verbundenen Kränkungen und Enttäuschungen zu kämpfen scheinen. Doch woher stammt diese Unzufriedenheit, dieses starke Gefühl des „abgehängt worden seins“, dass die Menschen in Brandenburg, Sachsen und auch hier dazu veranlasst, ausgerechnet Parteien wie die AfD zu wählen? Wie kommt es, dass hierbei offenbar gänzlich verdrängt wird, dass der überwiegende Teil des AfD-Führungskaders selbst aus den „alten Bundesländern“ stammt und darüber hinaus für eine neoliberale Politik steht, die den wenigsten ihrer Wähler Gutes einbringen dürfte?

Antworten darauf lassen sich in der Entwicklung der letzten drei Jahrzehnte finden. Als im November 1989 die aufflammenden Proteste in der ehemaligen DDR von dessen Regime auch mit Gewalt nicht mehr einzudämmen waren, brach das politische System des sozialistischen Staates schließlich zusammen. Buchstäblich über Nacht erfuhren Millionen von Menschen einen Bruch in ihrer Biografie, auf den sie in dieser Plötzlichkeit und Intensität nicht vorbereitet waren. Dabei erfasste zunächst eine überwältigende Euphorie die Mehrheit der Menschen, stand doch nun ein nicht gekanntes Gefühl der Freiheit im Vordergrund, verbunden mit der Aussicht auf ein wohlhabendes Leben im offenbar von Überfluss und Reichtum geprägten Kapitalismus. Der damalige Bundeskanzler, Helmut Kohl, wurde nicht müde, von „blühenden Landschaften“ zu fabulieren und proklamierte wie die Mehrheit der politischen Zeitgenossen eine Wiedervereinigung zweier gleichberechtigter Staaten an deren Ende es allen besser gehen würde.

Schnell jedoch mussten die Menschen in Ostdeutschland feststellen, was sich die tonangebenden politischen und wirtschaftlichen Kräfte aus dem Westen unter einer solchen Fusion vorstellten. Das, was in den frühen Neunziger Jahren folgte, sollte sich in das Bewusstsein vieler Ostdeutschen dauerhaft einbrennen und auch an die folgenden Generationen weitergereicht werden. Noch heute unterscheidet sich der Blick auf die Vergangenheit deutlich zwischen Ost und West. Während im Osten von der „politischen Wende“ bzw. einer „friedlichen Revolution“ gesprochen wird, also von einem fundamentalen, alle Lebensbereiche betreffenden Umbruch, werden die Ereignisse von ‘89 und ‘90 in Westdeutschland recht lapidar als „Mauerfall“ zusammengefasst, welcher für die meisten wenig Auswirkungen auf ihren Lebensweg nach sich zog. Mit dem Niedergang des real existierenden Sozialismus entledigte sich die kapitalistische westliche Welt ihres letzten noch verbliebenen, ernst zu nehmenden Konkurrenzsystems. Von nun an wurde das System einer auf unendliches Wachstum ausgerichteten Kapitalwirtschaft als „alternativlos“ gepriesen, einhergehend mit der Aberkennung und Abwertung der unter anderen Ausrichtungen erbrachten Leistungen und Lebenswerke.

Damit, dass sich die Marktwirtschaft als siegreiches System durchgesetzt habe, wurde auch das rigorose Vorgehen der Treuhandanstalt begründet, deren Verbrechen mittlerweile ausreichend dokumentiert sind und die trotz allem Pate für die radikale Kahlschlagspolitik der Troika in Griechenland stand. Die Treuhandanstalt sollte nach offizieller lesart die ostdeutsche Wirtschaft marktfähig machen und die Volkseigenen Betriebe in Privatunternehmen umwandeln. De facto ging es aber auch um die Ausschaltung beziehungsweise Übernahme ostdeutscher Konkurrenz durch westdeutsche Konzerne. Das Konzept zur Treuhandanstalt entstammt dem Wiedervereinigungsplan des vorigen NS Reichskommissars für Kreditwesen Friedrich Ernst, den er bereit 1959 verfasste. Die Behörde sollte vor der Privatisierung der Ostbetriebe so viele Arbeitsplätze abbauen wie möglich, um sie so für Käufer interessanter zu machen. Die entlassenen Belegschaften wurden dann in Beschäftigungsgesellschaften zwischengeparkt, bevor sie in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen oder der Arbeitslosigkeit endeten. Berater der Treuhand verdienten dabei für sogenannte „Sozialplanbetreuung“ teilweise Millionen.

Wir wollen aber nicht in das Gerede von den „armen Ossis“ einsteigen, die von der ganzen Welt betrogen wurden und mensch ja verstehen müsse, dass sie deshalb rechten Schweinen hinterherrennen und sie wählen. Wir kriegen das kalte kotzen, wenn wir von der AfD Sätze wie „Die Wende vollenden!“ hören oder uns Abiturensöhne wie Bernd Höcke aus NRW erzählen wollen, wie sie die Mauer zu Fall gebracht haben. Da können wir nur drauf antworten: Achso, wir dachten das wären die Scorpions oder David Hasselhoff gewesen. Aber mal im Ernst.

Wir als ostdeutsche Antifa-Gruppe wollen statt dessen, die Erinnerung an damalige Kämpfe hochhalten und uns mit den Ideen damaliger emanzipatorischer Bewegungen auseinander setzen. Wir wollen klar machen, dass es immer die Möglichkeit gab, sich statt von blühenden Landschaften, Begrüßungsgeld und Bananen blenden zu lassen, für die eigenen Interessen und ein solidarisches miteinander jenseits von blindem Konsum einzusetzen. Ein Blick zurück kann da sehr erfrischend sein. In dem breiten Spektrum von kirchlichen Basisgruppen bis hinein in die SDP (der Neugründung der SPD) von Umweltbibliothek, über die Kirche von Unten, der Autonomen Antifa bis hin zur Initiative für eine Vereinigte Linke träumten viele von einer Räterepublik. Statt der Wiedervereinigung beider deutscher Staaten wünschten sie sich einen Antifaschismus, der seinen Namen verdient und einen antiautoritären, basisdemokratischen Sozialismus mit kollektiver Selbstverwaltung und Volkseigentum. Insbesondere die Übernahme von repräsentativen Parlamentarismus und kapitalistischer Marktwirtschaft aus Westdeutschland stieß bei ihnen auf herbe Ablehnung. Sie positionierten sich statt dessen als Fundamentalopposition gegen Herrschaftstragende in Ost und West. Die radikale Kritik sowohl am SED Regime, als auch an westlichem Imperialismus und deutschem Großmachtsstreben ist bis heute ungeheuer wertvoll. Wir empfehlen einen Blick in den seit 1989 erscheinenden Telegraph aus Berlin. Einem zusammenschluss der Umweltblätter aus der Zionskirche, des Antifa Infoblatts Ostberlin und des Friedrichsfelder Feuermelders.

In der letzten Sonderausgabe anlässlich des 30. Jahrestages von 89 finden sich auch Beiträge zu unserem letzten Beispiel: dem Arbeitskampf der Belegschaft des Kaliwerks in Bischofferode in Thüringen. Der schon zuvor zitierte Wiedervereinigungsplan sah im Rahmen der Deindustriealisierung der DDR auch die Zerschlagung der ostdeutschen Kali-Industrie zu Gunsten des BASF Konzerns vor. Der Kali-Fusionsvertrag zwischen der Treuhand und der BASF Tochter Kali&Salz sah die Schließung der DDR-Gruben, eine Zahlung von umgerechnet einer Milliarde € an BASF für die liquidierung ihrer ostdeutschen Konkurrenz und eine Zahlung von 20 Millionen € jährlich durch das Land Thüringen an die Kali&Salz für die Sanierung entstandener Umweltschäden. Die Belegschaft in Bischofferode wehrte sich mit einer Radikalität, die von der Betriebsbesetzung bis hin zum Hungerstreik ging, was eine riesige Welle der Solidarität in Ost und West auslöste. Es entstand eine ostdeutsche Betriebsräte-Initiative. Während die Gewerkschaftsbürokratie in Hessen sogar Demos gegen den Arbeitskampf in Thüringen veranstaltete, ließen sich hunderte Bergleute aus dem Ruhrgebiet krank schreiben, oder nahmen Urlaub, um nach Bischofferode zu fahren und die Leute vor Ort zu unterstützen. Dazu gingen Spenden von fast einer Millionen DM ein. Eine Delegation katholischer Bergleute aus der CDU begab sich für eine Audienz zum Papst Johannes Paul II.

Ein Treuhand-Manager erklärte darauf hin im Spiegel: „Der Hungerstreik in Bischofferode hat eine gewaltige Wirkung auch auf die Betriebe im Westen. Wenn man den nicht bricht, wie will man dann in Deutschland noch Veränderungen bei den Arbeitsplätzen durchsetzen? Somit war klar wie es kommen musste. Der Betrieb wurde abgewickelt und die Anlagen ironischer Weise durch die Firma „Westschrott“ aus dem Ruhrgebiet zurückgebaut. Die Region teilt mittlerweile das Schicksal vieler anderer entvölkerter und von Arbeitslosigkeit geprägter Landstriche Ostdeutschlands.

Die Erkenntnis kann nur lauten: Es lohnt sich nicht den Rattenfängern zu folgen. Egal ob CDU dominierte „Allianz für Deutschland“von damals, die mit blühenden Landschaften winkte oder „Alternative für Deutschland“ von heute, die sich versucht als Stimme der Ostdeutschen zu verkaufen. Den Parteien egal ob CDU, SPD, Linke oder AfD sind wir scheiß egal. Nur weil wir ihnen unsere Stimme gegeben haben, heißt das nicht, dass sie uns nicht im nächsten Moment in die Scheiße reiten. Wir müssen statt dessen anfangen uns zu organisieren, wieder anfangen die Solidarität im Alltag zu leben, wieder anfangen mit unseren Nachbarn zu reden, hinzusehen und uns einzumischen statt wie Zombies durch die Lange Straße und den Elisenpark zu rennen. Legen wir unsere Vorurteile ab. Egal ob über Studenten von überall her, die vermeintlich noch nichts geschaf haben in ihrem Leben, über Migranten die uns angeblich alles wegnehmen oder auf der anderen Seite über den Pöbel in Schönwalde, der noch nicht richtig gendert.

Die Krise heißt Kapitalismus und nur gemeinsam können wir sie überwinden. Die Marktwirtschaft ist nicht alternativlos und es gibt kein Ende der Geschichte. Schreiben wir sie gemeinsam weiter.

Unsere Antwort heißt Solidarität

Alle weiteren Redebeiträge finden sich hier : https://defiantantifa.wordpress.com/1-mai2020/

und hier eine Videodokumentation der Demonstration: https://vimeo.com/414423485

Webadresse: http://www

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