Streit im Wikipedia-Schiedsgericht

Ein AfD-Funktionär hat sich in das höchste Entscheidungsgremium der Onlineenzyklopädie wählen lassen. Seitdem hagelt es Rücktritte

 

Von Marvin Oppong

 

Spätestens seit der Diskussion um das transatlantische Handelsabkommen TTIP mit seinen geplanten Möglichkeiten zur außerstaatlichen Streitfallschlichtung ist das Wort »Schiedsgericht« ein Reizwort. Nun gilt dies auch für die deutschsprachige Wikipedia. Das Schiedsgericht der Enzyklopädie kommt zum Tragen, wenn Wikipedia-Autoren sich um Inhalte streiten und nicht einig werden, was häufig bei politischen Themen und Artikeln der Fall ist.

 

Nachdem das AfD-Engagement des Wikipedia-Autors und Schiedsgerichtsmitglieds unter dem Benutzernamen »Magister« bekannt geworden war, traten Anfang September drei Mitglieder des Gremiums gleichzeitig zurück. Danach bestand dieses nur noch aus fünf Mitgliedern, einschließlich des AfD-Vertreters. Seit vergangener Woche wird in der Wikipedia heftig über den Vorgang diskutiert. Seitdem sind weitere Schiedsgerichtsmitglieder zurückgetreten. Mittlerweile sei das Wikipedia-Gremium »kaum noch arbeitsfähig«, berichtete Heute.de am Freitag.

 

»Magister« hat in zehn Jahren mehr als 2.700 Änderungen in Artikeln vorgenommen. Der Artikel »Deutscher Orden« ist sein Baby. Daneben beschäftigte er sich bevorzugt mit Einträgen in der Enzyklopädie über Nazi-Kampfpanzer. Im Artikel »Berchtesgaden« redigierte er Dinge zu Hitlers Leben am Obersalzberg. Zu seinem AfD-Engagement schrieb »Magister« in der Wikipedia: »Ja, ich bin Mitglied der AfD, das Ganze auf Kreis- bzw. organisatorisch Landesebene, also kein Mitläufer. Und ich vertrete also öffentlich die Positionen dieser politischen Vereinigung.« Seiner Benutzerseite bei Wikipedia kann man außerdem entnehmen, dass »Magister« nordische Sprachen spricht und aus Mecklenburg-Vorpommern kommt. Außerdem schreibt er über sich: »Dieser Benutzer lebt im Beitrittsgebiet. Er ist deshalb kein kluger Bevölkerungsteil. Aber dafür entscheidet er schon wieder, wer Bundeskanzler wird.« Die wahre Identität von »Magister« ist bislang nicht öffentlich bekannt; bei Wikipedia kann jeder anonym schreiben und auch für Ämter kandidieren.

 

Das Exschiedsgerichtsmitglied »Gnom« begründete seinen Rücktritt damit, dass für ihn das »Engagement in der Wikipedia … mit einem Parteiamt in der ›Alternative für Deutschland‹ unvereinbar« sei. »Wikipedia ist ein Projekt, das sich auf die Ideale der Aufklärung beruft, das sich der wissenschaftlichen Methode verschrieben hat und in dem wir tolerant miteinander umgehen wollen. Die ›Alternative für Deutschland‹, mit der sich ›Magister‹ durch sein Parteiamt identifiziert, steht diesen Grundsätzen diametral gegenüber.«

 

Der Zurückgetretene »Ghilt« schrieb: »Mit ›Magister‹ habe ich in den letzten drei Jahren stets konstruktiv zusammengearbeitet. Eine Voreingenommenheit, die sich der AfD zuordnen ließe, ist mir bis zur internen Bekanntgabe bei ihm nicht aufgefallen. In den vielen anschließenden Diskussionen dagegen schon, für mich hat sich seitdem einiges geändert.« Er sehe bei »Magister« unter anderem »Siegergehabe«. Der ebenfalls zurückgetretene Sebastian Wallroth schrieb, »Magister« habe im Schiedsgericht eine »Bitte um Rücktritt und ein mögliches Neuantreten zur Wahl« abgelehnt. Er sei nur bereit gewesen »zurückzutreten, wenn jemand nachweisen könne, dass die AfD vom Verfassungsschutz beobachtet würde«. Einige Teilnehmer der Diskussion kritisieren, die zurückgetretenen Schiedsrichter hätten dem AfD-Funktionär einfach das Feld überlassen.

 

Neuwahlen des Schiedsgerichts sind, wenn ein Schiedsrichter ausscheidet, nach den Regeln erst zu einem bestimmten Wahltermin im Mai 2017 wieder möglich. Die Bestimmungen können durch ein sogenanntes Meinungsbild geändert werden, bei dem auch anonyme Accounts mitabstimmen können.

 

Mehrfach wurde der Rücktritt von »Magister« gefordert. »Aber ein Rücktritt meinerseits steht derzeit nicht zur Disposition«, schrieb er am Dienstag.

 

In der Diskussion schrieb ein Wikipedianer: »Man kann über eine böse Absicht, die Wikipedia und das SG (Schiedsgericht, jW) mit rechtsrandiger AfD-Ideologie zu infiltrieren, spekulieren oder es lassen. Den beschriebenen Weg ins SG empfinde ich jedoch bereits als dubios und täuschend.« Ein anderer Autor behauptet, es sei »nicht verwunderlich«, dass die AfD versuche, die Wikipedia »zu unterwandern«.