Psychische Schäden – vermutet Studie über Kinder hauptamtlicher Stasi-Mitarbeiter startet

Welche Auswirkungen hatte die Arbeit von hauptamtlichen Stasi-Mitarbeitern auf deren Kinder? Für eine Studie suchen Wissenschaftler und Ärzte Betroffene. Einer Arbeitsthese zufolge könnte ein Drittel psychische Schäden davongetragen haben.

 

Greifswald. Die gesundheitlichen und psychischen Auswirkungen der Arbeit hauptamtlicher Stasi-Mitarbeiter auf deren Kinder werden jetzt in einem Forschungsprojekt untersucht. Im Jahr 1989 waren etwa 90 000 Hauptamtliche für das Ministerium für Staatssicherheit tätig. «Wir rechnen damit, dass rund 100 000 bis 150 000 Kinder in diesen Familien aufwuchsen und ein Großteil von ihnen noch lebt», sagte der Professor für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Greifswald, Harald J. Freyberger, am Montag.

 

Die Wissenschaftler aus Greifswald, dem Helios-Klinikum Stralsund und der Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen suchen nun solche Kinder, um sie zu befragen. Inwieweit das Aufwachsen unter den Augen der Stasi und die Rolle der Eltern sich auf die Gesundheit und den weiteren Lebensweg der Kinder auswirkten, sei bislang kaum untersucht.

 

Freyberger schätzt, dass ein Drittel der Kinder psychische Schäden wie Depressionen oder Schamgefühle mit sich herumtrage. Ein Drittel könne die Erfahrung gut, ein Drittel sogar sehr gut bewältigt haben, so die Arbeitsthese. «Für die Betroffenen gilt eine besondere Dialektik: Sie kommen aus Täterfamilien und es ist für sie umso schwerer, sich als Opfer zu erleben.» Entscheidend für die Bewältigung sei auch, ob die Kinder in einem abgeschotteten Lebensumfeld von Stasi-Mitarbeitern aufwuchsen oder noch andere Lebenswirklichkeiten kennenlernten, wie Freyberger sagte. Die Forscher suchen deutschlandweit nach Betroffenen – mindestens 40 sollten es sein, um belastbare Ergebnisse zu erzielen.

 

Einige der Kinder hätten noch während der laufenden Tätigkeit von der Arbeit ihrer Eltern erfahren, andere erst nach dem Ende der DDR. Manche hätten sich selbst zur Tätigkeit für das MfS verpflichtet. Andere hingegen seien mehr oder weniger offen in Widerstand gegen den Staat und die Position der Eltern getreten. «In jedem Fall wurde von Mitarbeitern des MfS auch im Privaten geheimdienstliche Kontrolle und Beeinflussung erwartet, die in unterschiedlicher Form und Ausmaß stattfand, und ihre Kinder in besonderer Weise aus nächster Nähe betraf», hieß es.

 

In jüngerer Zeit – so die Wissenschaftler weiter – fänden sich zunehmend Kinder von Stasi-Hauptamtlichen in Gruppen zusammen, um sich über ihre Erfahrungen auszutauschen. Einige gingen auch mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit. Dies seien wichtige Formen der Bewältigung, stelle aber heute noch immer einen Tabubruch dar.

 

Betroffene, die über ihre Erfahrungen berichten möchten, können sich beim Klinikum Stralsund melden. Sie erwartet ein ein- bis zweistündiges Interview und ein Fragebogen. Die Aussagen unterliegen der Schweigepflicht. Erste Ergebnisse werden Anfang 2017 erwartet.