Der Fall der Ruderin Nadja Drygalla entwickelt sich zum Fiasko – für alle Beteiligten. Da wären die Medien, die diese Geschichte viel zu hoch gehängt haben. Die Umtriebe des Rostocker Neonazis Michael Fischer interessieren sonst kaum jemanden, dabei würde es sich lohnen, genauer nach Mecklenburg-Vorpommern zu schauen – nicht nur zu Olympia-Zeiten, wenn es um das deutsche Ansehen in der Welt geht. Regelmäßig werden hier Menschen von Neonazis angegriffen. Die enge Verknüpfung von NPD, die im Landtag Steuergelder kassiert, und militanten Neonazis ist ein Thema, das es verdient hätte, kontinuierlich beleuchtet zu werden.
Stattdessen werden in der größten deutschen Sonntagszeitung verpixelte Bilder aus dem Internet als möglicher Beweis dafür präsentiert, dass Drygalla selbst an rechtsextremen Aktionen beteiligt gewesen sein soll. Beobachter, die sich seit Jahren mit der Szene beschäftigen und dieses Bild längst kennen, schüttelten angesichts dieses Vorgehens den Kopf: Auf dem Foto kann nämlich keinesfalls Drygalla identifiziert werden, wahrscheinlicher ist, dass es sich um eine andere Frau aus der lokalen Neonazi-Szene handelt – aber auch dies lässt sich kaum nachvollziehen. Drygalla wurde auf Basis solcher dünnen Indizien beschuldigt, bei einer Neonazi-Aktion in Malchow dabei gewesen zu sein. Das ist schlicht unseriös – und kontraproduktiv.
Das Gerede von der „Sippenhaft“
Die NPD solidarisierte sich schnell mit Drygalla, die große Stunde der Partei scheint gekommen. Die Neonazis wollen sich immer wieder gerne als verfolgte Minderheit gerieren, als „die Juden von heute“. Dabei sind sie es selbst, die sich ausgrenzen, durch ihr rassistisches Weltbild, durch ihre Hetze und die Missachtung der Menschenrechte. Die aufgeregte mediale Berichterstattung wird von Tausenden Internet-Kommentaren begleitet, die nun über „Sippenhaft“ lamentieren. Dabei gibt es zahlreiche Prominente, die rechtsradikale Verwandte (nicht Lebenspartner) haben – niemand käme auf die Idee, sie dafür verantwortlich zu machen.
Drygalla ist nicht in „Sippenhaft“ genommen worden. Die Verbindung mit einem führenden Neonazi aus Rostock war nicht einfach ihre Privatsache, denn immerhin wurde sie zur Polizistin ausgebildet. Und wie würde eine Polizistin wohl reagieren, wenn sie bei Einsätzen gegen illegale Neonazi-Veranstaltungen möglicherweise gegen den eigenen Lebensgefährten oder dessen Freunde vorgehen müsste? Drygalla hat sich entschieden: gegen den Polizeidienst, für den Neonazi. Sie ist also eine Olympia-Teilnehmerin, die für die Polizei offenbar ein Sicherheitsrisiko darstellte, da sie sich eng mit einem Neonazi verbunden fühlt.
Was macht eine demokratische Gesinnung aus?
Das Innenministerium in Schwerin steht somit auch nicht gut da: Die persönliche Verbindung von Drygalla zu einem führenden Neonazi und die Bedenken hinsichtlich ihrer Loyalität zu einen demokratischen Rechtsstaat waren hier bekannt, bei den zuständigen Sportfunktionären kam davon angeblich nichts an. Dabei soll Drygallas rechte Gesinnung im Ruderteam Gesprächsthema gewesen sein, berichten Kolleginnen nun. Dies bringt die Funktionäre weiter in Bedrängnis, denn die hatten Drygalla nach einem Gespräch in London einen Persilschein über eine demokratische Gesinnung ausgestellt.
Der Sport ist nicht unpolitisch, aber wenn Sportler sich über Politik äußern, kommt oft wenig Sinnvolles heraus. Gleiches gilt übrigens auch für den umgekehrten Fall, ist aber weniger fatal. Drygallas Aussage, ihr Freund habe sich von rechtsradikalen Kreisen und Gedankengut verabschiedet, erscheint bestenfalls naiv. Medien, Sportfunktionäre, Sicherheitsbehörden und Drygalla selbst sind Verlierer in dieser Geschichte. Die eigentlichen Fragen, was eine demokratische und was eine rechtsextreme Gesinnung überhaupt ausmachen – und warum Neonazis in Teilen Ostdeutschlands weiterhin erfolgreich sind, gehen in dem öffentlichen Getöse unter.