Der Prozess gegen einen ehemaligen SS-Wachmann am Landgericht Neubrandenburg steht vor dem Aus. Ein neues Gutachten kommt zum Ergebnis, dass der 96-Jährige dem Verfahren wegen Demenz nicht mehr gewachsen ist.
Ein Gutachten könnte zur Einstellung des Verfahrens gegen einen früheren SS-Sanitäter führen. Zwei Sachverständige haben nach Angaben des Landgerichts Neubrandenburg einen Bericht vorgelegt, in dem sie Hubert Z. ein fortschreitendes mittelgradiges demenzielles Syndrom attestieren.
Laut Gericht kommt die Expertise zum Befund, aufgrund seines Zustandes sei dem 96-Jährigen nicht mehr zu attestieren, dass er imstande sei, „seine Interessen innerhalb und außerhalb der Hauptverhandlung vernünftig wahrzunehmen“. Ebenso wenig sei Z. in der Lage, „seine Verteidigung in verständiger und verständlicher Weise zu führen und Prozesserklärungen abzugeben oder auch entgegenzunehmen“.
Z. wird Beihilfe zum Mord in mindestens 3581 Fällen vorgeworfen. Er soll von Mitte August 1944 einen Monat lang in Auschwitz-Birkenau als SS-Sanitäter stationiert gewesen sein. Durch seine Tätigkeit soll er den industriellen Massenmord unterstützt haben.
Zentral für das Verfahren ist die Frage nach Z.s Verhandlungsfähigkeit. Ist er einem Strafverfahren körperlich und geistig gewachsen? Das Gutachten hilft der 60. Großen Strafkammer dabei, diese Frage zu beantworten. Angesichts der Aussage des Gutachtens ist zu erwarten, dass das Gericht eine Verhandlungsfähigkeit verneint. Damit wäre der Prozess geplatzt.
Laut Gericht wurde das Gutachten den Beteiligten zur Stellungnahme zugesandt. Zumindest bei den Nebenklagevertretern ist es noch nicht eingetroffen – sie erfahren nun nach eigenen Angaben zum wiederholten Mal aus der Presse von Prozessentwicklungen. „Wir haben das Gutachten noch nicht erhalten“, sagt Nebenklageanwalt Thomas Walther.
Das Ergebnis des Gutachtens überrascht ihn nicht. „Ich hatte wenig Hoffnung“, sagte er. „Mir war klar, dass es eng wird.“ Mehr sagen wolle er erst, wenn er das Gutachten geprüft habe. „Wenn es Hand und Fuß hat und fachlich gut begründet ist, werden wir dagegen nichts unternehmen“, sagte er.
Nachdem alle Seiten reagiert haben, liegt die Entscheidung beim Gericht. Es gebe zwei Möglichkeiten, sagte ein Gerichtssprecher: Es könne ein Verhandlungstag anberaumt werden, an dem die Verhandlungsfähigkeit Thema sei. Oder die Kammer entscheide durch Beschluss. Einen Zeithorizont bis zur Entscheidung nannte der Sprecher nicht.
Der Umstand, dass die komplette Schwurgerichtskammer erkrankt ist, ändert dem Sprecher zufolge nichts am weiteren Prozedere. „Es gibt eine Vertretung, die Kammer ist handlungsfähig.“ Gegebenenfalls müssten eben die Vertreter über den Fall befinden.
Jahrelanges Hickhack
Das Gutachten stellt die jüngste Entwicklung in dem höchst umstrittenen Verfahren dar. Bereits 2015 hatte die Kammer Z. für verhandlungsunfähig befunden. Erst auf Intervention des Oberlandesgerichtes Rostock wurde das Verfahren doch anberaumt. Seither wurde aber so gut wie gar nicht verhandelt, weil es immer nur um Z.s Gesundheitszustand ging.
Nebenkläger und auch die Staatsanwaltschaft warfen der Kammer vor, die juristische Aufarbeitung des Falles mit fadenscheinigen Argumenten zu blockieren. Staatsanwaltschaft und Nebenklagevertreter stellten mehrere Befangenheitsanträge gegen die Richter, Walther und ein weiterer Nebenklageanwalt zeigten die drei Berufsrichter der 60. Strafkammer wegen Rechtsbeugung an.
Weil das Gericht nicht rechtzeitig auf Befangenheitsanträge reagierte, war der Prozess bereits zuvor zwischenzeitlich geplatzt und musste von vorn beginnen. Nebenklageanwalt Walther sprach daraufhin davon, die Kammer sabotiere das Verfahren.
Z.s Verteidiger Peter-Michael Diestel hingegen konnte am Vorgehen der Kammer nichts Kritikwürdiges finden. Er sprach von einem Schauprozess. Staatsanwaltschaft und Nebenklage stellten einem Greis nach – Jahrzehnte, nachdem die deutsche Justiz die Hauptverantwortlichen für Auschwitz freigesprochen oder Bagatellstrafen verhängt habe.