Abendliche Pogromstimmung – Rassist_innen ziehen durch Schwerin

Hunderte Rassist_innen marschierten am Samstag Abend durch die Mecklenburg-Vorpommersche Landeshauptstadt Schwerin. Nur wenige Menschen stellten sich dem Aufzug entgegen. Neonazis attackierten Journalist_innen unter den Augen der Polizei.

 

Eine Welle von rassistischen Aufmärschen rollt gegenwärtig durch Mecklenburg-Vorpommern. Gruppen unter dem Dachverband „Deutschland wehrt sich!“ riefen kürzlich zu einem heißen Demonstrationsherbst im Bundesland auf. Dieser Ankündigung folgten Taten. Bereits am 5. und 16. September marschierten Anhänger_innen von „Wismar wehrt sich!“ durch die Hafenstadt. Am 11. und 12. September sammelten sich Rassist_innen von „Schwerin wehrt sich!“ vor einer Geflüchtetenunterkunft im Schweriner Stadtteil Lankow.

 

Für Samstag Abend mobilisierte diese Gruppe zu einer Großdemonstration in der Landeshauptstadt, an der vorsichtigen Schätzungen zufolge rund 600-700 Menschen teilnahmen. Polizei und Medien sprechen hingegen von lediglich 450 Personen. Der für 17 Uhr angemeldete Aufzug setzte sich gegen 18.30 Uhr vom Hauptbahnhof in Richtung Staatskanzlei Schwerin in Bewegung. Nach einer Zwischenkundgebung drehte der Aufzug und begab sich zurück zum Startpunkt.

Neben Alltagsrassist_innen mit Kind und Kegel fanden sich unter den Marschierer_innen auch zahlreiche bekannte NPD-Kader und Neonazis. Fahnen der German Defense League und des Deutschen Reichs wehten, während der Mob Parolen wie „Antifa Hurensöhne“ und „Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen!“ brüllte. Teilnehmer_innen zeigten den Hitlergruß. Am Rande der Veranstaltung wurden zwei Journalist_innen von Neonazis angegriffen, während der Demonstrationszug „Lügenpresse“ gröhlte. Aufmarschteilnehmer_innen genossen volle Bewegungsfreiheit und wurden von der Polizei nicht am unkontrollierten Verlassen der Versammlung in Richtung der Gegendemonstrant_innen gehindert.

Die sichtlich überforderte Polizei, die den rechten Aufmarsch nur mit wenigen, schwachen Bereitschaftskräften begleitete, schien von der Masse und der Aggressivität der Rassist_innen wieder einmal überrascht. Die Staatsmacht beschränkte sich jedoch vor allem darauf, Hatz auf die wenigen anwesenden Antifas zu machen, anstatt den Marsch, der zusehends zu einer Gefahr für Außenstehende wurde, vernünftig zu begleiten. Antifaschist_innen waren so den gesamten Abend über der Gefahr von rechten Attacken ausgesetzt, zumal auch außerhalb des Aufmarsches Neonazigruppen gezielt nach Gegendemonstrant_innen suchten. Die Faschist_innen konnten abseits ihrer Veranstaltung auch deshalb so problemlos agieren, weil nur wenige Nazigegner_innen auf Schwerins Straßen unterwegs waren. Lediglich ein- bis zweihundert vornehmlich bürgerliche Aktivist_innen versammelten sich auf Kundgebungen gegen den Aufmarsch oder versuchten im Verlauf des Abends Protest in Hör- und Sichtweite zu äußern. Eine kleinere Sitzblockade umgingen die Rassist_innen einfach. Nach der Auflösung zogen kleinere Neonazigruppen durch das nächtliche Schwerin.

 

Geschehnisse wie diese werden sich wohl in den kommenden Wochen in Mecklenburg-Vorpommern häufen. Rassist_innen haben zahlreiche Kundgebungen, Spaziergänge und Aufmärsche im ganzen Land angekündigt, so unter anderem am 25. September in Stralsund und schon einen Tag später in Wismar. Bereits am Montag startet MVGida nach der selbstgewählten Sommerpause wieder mit einer rassistischen Demonstration in Boizenburg. Zahlreiche weitere Kundgebungen finden teils ungeachtet öffentlicher Aufmerksamkeit regelmäßig im Bundesland statt. Antifaschistische Mobilisierungen gegen die Märsche sind gegenwärtig nicht feststellbar. Angesichts des antifaschistischen Großevents, das eine Aufmarschankündigung von Neonazis im September in Hamburg nach sich zog, ist der geringe Widerstand gegen Aufmärsche in geografischer Nähe verwunderlich.

 

Dieser Artikel soll ein Denkanstoß und kein vorwurfsvoller Fingerzeig sein. Er soll weniger zu einer rein inhaltlichen Debatte führen und ist eher als konkreter Hinweis auf die Ereignisse in Mecklenburg-Vorpommern zu verstehen. Er kann Startschuss für die dringend notwendige Vernetzung mit den naheliegenden Handlungsoptionen für eine derartige Stimmungsmache gegen Geflüchtete im gesamten Bundesgebiet sein. Geschieht dies nicht, wird es uns nicht gelingen dem rassistischen Mob auf der Straße Einhalt zu gebieten.

Thomas Wulff (NPD) mit Schweriner Fahne
Thomas Wulff (NPD) mit Schweriner Fahne
Schwacher Gegenprotest
Schwacher Gegenprotest
Kundgebung vor der Staatskanzlei
Kundgebung vor der Staatskanzlei
Neonazis u.a. aus Güstrow. Bildmitte: Nils Matischent (Gelbe Schuhe)
Neonazis u.a. aus Güstrow. Bildmitte: Nils Matischent (Gelbe Schuhe)
Gegenprotest
Gegenprotest