Der regionale PEGIDA-Ableger marschierte am vergangenen Montag in Mecklenburg-Vorpommern auf. In Schwerin und Stralsund gingen ihre Anhänger_innen auf die Straße. In beiden Städten formierte sich aber auch ungeahnte Gegenwehr. Auch in Rostock demonstrierten Menschen gegen die GIDA-Bewegung. Überschattet wurden die Proteste von Neonazigewalt.
Erfolgreicher Widerstand und Neonazigewalt in Stralsund
In der Hansestadt am Sund stellten sich hunderte Menschen dem rassistischen Aufmarsch in den Weg. Schon vor Beginn der Veranstaltung ließ sich erahnen, dass die Polizei keinerlei Trennungskonzept vorbereitet hatte. So liefen anreisende Teilnehmer_innen und bereits wartende Gegendemonstrant_innen direkt aneinander vorbei oder standen sich gegenüber, es herrschte Verwirrung und manch ein_e MVGIDA-Symphatisant_in landete zunächst bei der falschen Gruppe. Erste rhetorische Perlen („Dann geht doch hin nach euern Islam!“) wurden von den selbsternannten „Islamkritikern“ zum Besten gegeben. Bereits nach wenigen Metern musste die rechte Demonstration, angeführt von Neonazi-Kadern aus Vorpommern, das erste Mal stoppen. Hier standen sich nun Neonazis und Gegendemonstrant_innen teilweise ohne polizeiliche Trennung gegenüber, es kam zu verbalen Auseinandersetzungen und ersten körperlichen Attacken auf nicht-rechte Menschen. Nach einem kurzen Versuch, die Demonstration weiter gehen zu lassen, ließ die Polizei den rassistischen Marsch umdrehen und führte die Teilnehmer_innen eine andere Route entlang. Der antifaschistische Protest folgte dem Aufzug und konnte seinem Unmut lautstark Ausdruck verleihen. Im weiteren Verlauf standen sich Antifaschist_innen und Neonazis aufgrund der nun ganz offensichtlich vollkommen konzeptlosen Polizeikräfte erneut ohne Barriere gegenüber, es kam zu weiteren, heftigeren Angriffen durch Neonazis, ehe sich der Gegenprotest gesammelt hatte und die MVGIDA-Demonstration ein weiteres mal stoppen und umdrehen musste.
Die Bewertung der Geschehnisse in Stralsund muss aus antifaschistischer Sicht insgesamt positiv ausfallen: viele Menschen aus den verschiedensten Spektren haben sich mutig offensichtlich gewaltbereiten Neonazis in den Weg gestellt und die MVGIDA- Demonstration so, wie sie geplant war, verhindert, wenn auch durch die Inkaufnahme von Verletzungen. Inhalte konnte MVGIDA in Stralsund keine vermitteln, deutlich wurde nur, dass es sich hierbei keineswegs um eine Veranstaltung besorgter Bürger_innen, sondern um eine Demonstration der neonazistischen Szene mit Bürger_innenbeteiligung handelte. Die Strukturen wurden von organisierten Neonazis gestellt, viele bekannte Neonazikader aus Vorpommern, der Kameradschaftsszene Stralsunds, sowie des Ordnerdienstes der NPD waren unter den Demonstrant_innen. Parallelen lassen sich hierbei zu der schon etwas älteren extrem rechten Strategie, vermeintliche Bürger_inneninitiativen als Mittel für Propaganda zu nutzen, ziehen.
Die Vorbereitung und Durchführung der polizeilichen Arbeit an diesem Tag zeugt entweder von Inkompetenz oder fehlendem Willen seitens der Polizei, neonazistische Gewalttäter_innen im Zaum zu halten. Offensichtlich unterbesetzt und überfordert muss sie sich die Frage gefallen lassen, wie man das Gewaltpotential, das von einer Demonstration bekannter, gut organisierter und gewaltbereiter Neonazis aus Vorpommern ausgeht, unterschätzen kann. Hier zeigt sich die auch nach dem Auffliegen des NSU- Skandals fortgesetzte Ignoranz der Sicherheitsbehörden gegenüber der Gefährlichkeit der rechten Szene. Zudem ignorierten die eingesetzten Polizist_innen teilweise Übergriffe auf Gegendemonstrant_innen.
Besonders hervor taten sich drei Zivilbeamte aus Stralsund, die von Beginn an offensichtlich gewaltbereit und provokativ auftraten. Diese schlugen später mit Teleskopschlagstöcken auf Gegendemonstrant_innen ein und verletzten so auch einen Antifaschisten, als dieser bereits am Boden lag. Ein Video zeigt den Vorfall. Die Zivilpolizisten sind keine Unbekannten: bereits im Dezember 2013 traten sie provozierend und Gewalt androhend im Vorfeld eines Konzertes der Band Feine Sahne Fischfilet in Greifswald in Erscheinung.
Bei aller berechtigter Kritik an der Arbeit der Polizei kann es aber nicht das Hauptaugenmerk radikal linker Politik sein, die Polizei an ihre Aufgaben zu erinnern. Vielmehr hat sich in Stralsund bestätigt, was man als linker Mensch sowieso schon wissen sollte: dass man sich niemals auf die Polizei verlassen darf und die Organisation antifaschistischen Selbstschutzes nach wie vor unerlässlich und notwendig ist.
Fotos: Endstation Rechts
Großer Protest gegen MVGIDA in Schwerin
Auch in Schwerin gingen zahlreiche Menschen gegen MVGIDA auf die Straße. Etwa 1000 waren es wohl letztlich, bürgerliche Medien berichten sogar von bis zu 1600 Menschen. Eine antifaschistische Versammlung der „Schweriner gegen die Idiotisierung des Abendlandes“ im Alten Garten lag direkt neben dem Auftaktort von MVGIDA. Die zunächst etwa 250 Rassist_innen bekamen kurz vor Beginn der Veranstaltung Unterstützung von etwa 80 weiteren Neonazis. Die näherten sich der antifaschistischen Kundgebung unter Parolen wie „Antisemiten kann man nicht verbieten!“ und „Wir kriegen euch alle!“. Wenig später entzündete der Neonazimob Fackeln, wie man es von regionalen faschistischen Aufmärschen kennt.
Der Marsch der MVGIDA konnte nach der Startkundgebung nicht die gewünschte Route einschlagen, da diese durch Gegendemonstrant_innen besetzt war. Über einen Umweg gelangten die Rassist_innen auf ihre angemeldete Strecke, dabei kam es zu kurzem direktem Kontakt zwischen den Versammlungen. Im weiteren Verlauf entwickelte sich eine Gegendemonstration, die dem rassistischen Haufen in geringem Abstand folgte. Zahlreiche mehr oder minder bekannte Neonazis nahmen an dem Umzug teil. So etwa die NPD Landtagsabgeordneten Udo Pastörs und Stefan Köster und auch der bundesweit bekannte Thomas „Steiner“ Wulff. Der Charakter der Veranstaltung erinnerte stark an Aufmärsche der rechten Szene im Bundesland. Guten Gewissens kann hier ebenfalls von einer Neonazidemonstration mit Bürger_innenbeteiligung gesprochen werden.
Der Protest gegen MVGIDA in der Landeshauptstadt riss über den ganzen Abend nicht ab. Auch hier waren die Polizeikräfte völlig überfordert, hielten sich aber mit den üblichen Gewaltausbrüchen gegen Antifaschist_innen zurück. In der verwinkelten Altstadt von Schwerin gelang es Gruppen von Gegendemonstrant_innen immer wieder bis auf wenige Meter an den Marsch heran zu kommen. Lautstarker Unmut störte die Redebeiträge der Rassist_innen den ganzen Abend über empfindlich. Nach Auflösung des Marschs am verdunkelten Schweriner Schloss, in dem lediglich die NPD-Büros hell erleuchtet waren, gingen abziehende Neonazis auf eine kleine Gruppe Gegner_innen los, dabei kam es zu gewalttätigen Übergriffen gegen diese.
Fotos: Hans Schlechtenberg, Endstation Rechts
Proteste auch in Rostock
Auch in Rostock versammelten sich auf verschiedenen Veranstaltungen erneut hunderte Menschen unter dem Motto „Rostock für Alle!“. Medienberichten zu Folge beteiligten sich an einer Demonstration sogar bis zu 2000 Menschen, andere Beobachter_innen sprechen von etwa 1000 Teilnehmer_innen. Während der Auftaktkundgebung am Brink wurden Redebeiträge verlesen. Am Hauptbahnhof setzte der Demozug reisefreudige Antifaschist_innen zur Fahrt nach Schwerin ab. Die Veranstaltung endete mit einer Kundgebung am Kröpeliner Tor. Mehr Informationen zu den Veranstaltungen in Rostock finden sich bei Kombinat Fortschritt.
Die ursprünglich für Montag geplante MVGIDA-Demonstration in der Hansestadt war im Vorfeld vom Anmelder abgesagt worden, nachdem hier bereits am vorherigen Montag präventiv rund 500 Menschen gegen MVGIDA auf die Straße gingen.
Es wird weiter gehen
Auf Facebook sprechen die Organisator_innen schon kurz nach den rassistischen Aufmärschen dennoch von einem Erfolg. In einer ersten Meldung geben sie für Stralsund 500, für Schwerin sogar 1000 Teilnehmer_innen an. So viel zum Thema „Lügenpresse“. In einer Mitteilung jammern sie über die starken antifaschistischen Proteste gegen ihre Aktionen und stellen die gewalttätigen Übergriffe durch Marschierende und Ordner_innen auf Gegendemonstrant_innen als Notwehr dar. Eine Projektionsleistung der besonderen Art ist auch ihr Zirkelschluss, dass die paar hundert Rassist_innen, die ihrem Ruf folgten, bewiesen, dass die Menschen in MV jetzt endlich bereit seien ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrzunehmen. Ihre Versammlungen in Schwerin und Stralsund ließen keinen Zweifel daran, dass MVGIDA eher eine Neonaziplattform ist, der sich bisher unorganisierte rechte Bürger_innen anschließen, als anders herum. Eine ausführliche Einschätzung über den PEGIDA-Ableger ist bei Kombinat Fortschritt zu finden. Für die kommenden Wochen hat MVGIDA bereits weitere Veranstaltungen angekündigt.
Ein Bericht von Defiant Antifa Greifswald und Antifa Rostock
Presseberichte: