BERLIN taz | Das Votum der Philosophischen Fakultät der Universität Rostock war eindeutig: 20 Ja-Stimmen für eine Ehrendoktorwürde für Edward Snowden, eine Enthaltung, eine Nein-Stimme.
Entsprechend euphorisch die Würdigung der Professoren im Mai: Der Whistleblower sei „ein bedeutender Aufklärer des 21. Jahrhunderts“, seine „Philosophie der Praxis“ habe einen „neuen globalen Diskurs über Freiheit, Demokratie, Kosmopolitismus und die Rechte des Individuums“ angestoßen. Und der Universität bescherte der Vorschlag überregionale Schlagzeilen.
Nun aber steht ein misslicher Vorwurf im Raum: Die Universität selbst soll mit an der Entwicklung deutscher Spionagesoftware beteiligt sein. Derzeit plant die Bundeswehr die Anschaffung von „Analysetools für soziale Medien in nahezu Echtzeit“. Einer der Lieferanten ist laut Bundesinnenministerium auf eine Linken-Anfrage das „Institut für grafische Wissensorganisation (Grawis) an der Universität Rostock“.
An der Uni regt sich nun Protest. Falls die Snowden-Ehrendoktorwürde „nicht nur ein billiger PR-Gag sein sollte“, heißt es in einem offenen Brief der Studierendengruppe „Kritische Universität“, sei jetzt „eine gute Gelegenheit, Stimme zu erheben“.
„Kein Deal mit der Heilsarmee“
Jana Powilleit, Sprecherin der Universität, bestreitet indes eine Mitwirkung an den Ausspähplänen. Die Darstellung des Innenministeriums sei „nicht korrekt“. Zwar sei Grawis 2011 von Studenten gegründet worden. Heute agiere das Institut aber „völlig eigenständig“.
Ganz so ist es nicht. Grawis-Mitbetreiber Stefan Pforte räumt gemeinsame Förderanträge für Forschungsvorhaben mit der Universität ein. Eine „institutionelle Bindung“ gebe es aber nicht. Pforte bestätigt auch Verhandlungen mit der Bundeswehr über eine Zusammenarbeit. Eine Überwachungsfunktion seines Programms aber weist er von sich: Es gehe nur um die Visualisierung von Daten. Weder könne das Programm Daten erheben noch Personenprofile erstellen.
Die Autoren des offenen Briefes sehen das anders. „Es geht hier nicht um einen Deal mit der Heilsarmee“, sagt einer, der sich Frank Schmidt nennt. „Das Programm soll genutzt werden, um nachrichtendienstliche Erkenntnisse zu gewinnen.“ Man erwarte weiter eine „öffentliche Intervention“ der Fakultät, so Schmidt. „Statt auf die große Weltpolitik zu zielen, sollten sie erstmal vor der eigenen Haustür kehren.“
Die Fakultät kämpft allerdings noch mit anderen Widerständen. Denn auch die Ehrendoktorwürde für Snowden ist noch nicht geklärt. Universitätsrektor Wolfgang Schareck legte gegen die Ernennung sein Veto ein: Snowden habe keine originär wissenschaftliche Leistung erbracht. Nun entscheidet das Bildungsministerium Mecklenburg-Vorpommern.