Vielen, die am 20. Oktober 2012 gegen einen Aufmarsch der NPD-Jugendorganisation JN in Wismar demonstrierten, dürfte der Tag in nicht sehr angenehmer Erinnerung geblieben sein. Zwar konnten Antifas damals mit Blockaden erreichen, dass die Neonazis nach etwa der Hälfte ihrer Strecke umkehren mussten und auch das Wetter war super. Doch überschattet wurde der Tag von massiver Polizeigewalt und zahlreichen Personalienfeststellungen. Die Rechtshilfeorganisation Rote Hilfe (RH) geht von etwa 150 in der Folge eingeleiteten Ermittlungsverfahren aus, bei denen die Behörden nicht eben zimperlich vorgingen. Jetzt wurden aber offenbar fast alle Verfahren eingestellt.
Das ruppige Vorgehen der Behörden zieht sich dabei wie ein roter Faden durch das Vorgehen der Polizei auf der Straße und bis in die Ermittlungsverfahren danach. Bei Pfeffersprayeinsätzen und Prügelaktionen wurden am 20. Oktober mindestens drei Menschen durch die Polizei erheblich verletzt, eine Person war danach stundenlang bewusstlos und musste mit Gesichtsverletzungen stationär behandelt werden. Die Polizei kesselte außerdem die Blockaden und filmte sie durchgehend ab. Nach Aussage der RH Greifswald, die die Betroffenen der Verfahren zentral betreute, mussten die Blockierenden auch ihre Notdurft vor laufender Kamera verrichten. Als sich die Blockaden auflösten, wurden durch die Polizei die Personalien aller Personen aufgenommen und Portraitaufnahmen angefertigt. Laut RH dürften dabei schon die Kessel der Polizei rechtswidrig gewesen sein. Denn bevor auf diese Weise Demonstrierende geräumt, bzw. festgesetzt werden dürfen, muss ihnen mittels einer dreimaligen Aufforderung die Möglichkeit zum Verlassen der Szenerie gegeben werden. Doch solche Aufforderungen kamen nie, so die RH.
Stattdessen kam für viele der AktivistInnen Wochen später Post. Erst polizeiliche Vorladungen zur Vernehmung, später dann sogar nochmalige Vorladungen, diesmal zur Abnahme von Fingerabdrücken, also einer erkennungsdienstlichen Behandlung (ED-Behandlung). Die Landesregierung teilte in einer Kleinen Anfrage mit, dass bei 150 festgestellten Personen ED-Behandlungen angeordnet wurden. Dagegen legten viele Betroffene erfolgreich Widerspruch ein. Hier wird der Vorteil für alle Beteiligten deutlich, wenn möglichst viele Betroffene in Kontakt mit einer Ortsgruppe der Roten Hilfe stehen. So konnten Informationen zu Vorwürfen und Vorladungen gesammelt, Anwälte_Innen vermittelt und Tipps zum Umgang mit der Situation gegeben werden. Nach Einschätzung der RH Greifswald folgte der größte Teil der Betroffenen ihren Ratschlägen. Das Kalkül der Behörden, mittels zwar dramatisch vorgetragenen, letztlich aber haltlosen Vorwürfen an möglichst viele Informationen und selbst Fingerabdrücke von Antifaschist_Innen zu kommen, dürfte damit nicht aufgegangen sein.
Bis auf wenige Ausnahmen wurden nach Aussage der Roten Hilfe alle Verfahren wegen nicht hinreichendem Tatverdacht eingestellt. Die noch offenen Verfahren sollen jedoch nicht in direktem Zusammenhang mit den Blockaden stehen.