Kein Ende im Streit um die Nennung von linken Projekten im Verfassungsschutzbericht 2011: Vor dem Oberverwaltungsgericht Greifswald hat das Innenministerium Beschwerde gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Schwerin eingelegt. Dieses hatte den Geheimdienst verpflichtet seinen Bericht teilweise zu schwärzen. In der nächsten Instanz will man beim Ministerium offenbar schwere Geschütze auffahren: Eine international operierende Großkanzlei, die hauptsächlich im Wirtschaftsrecht tätig ist, wurde mit der Vertretung der Interessen des Verfassungsschutz beauftragt. Doch ein Blick auf große Fälle der Kanzlei fördert Interessantes zu Tage.
Doch zuvor ein kurzer Rückblick: Nachdem der Verfassungsschutzbericht 2011 mit bald halbjährlicher Verspätung erschien, staunten linke und zivilgesellschaftliche Initiativen nicht schlecht: In ansonsten nur wenig veränderte Passagen über linke Gruppierungen im Bundesland waren Halbsätze eingefügt worden, in denen linke Kulturzentren, Kneipen und Begegnungsstätten aufgeführt wurden. Drei Vereine klagten gegen diese Nennung ihrer Räumlichkeiten und bekamen vor dem Schweriner Verwaltungsgericht Recht. Das wollte man beim Verfassungsschutz nicht auf sich sitzen lassen, und legte Beschwerde ein.
Mit Kanonen auf Spatzen?
Vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) müssen sich die streitenden Parteien von einem Rechtsbeistand vertreten lassen. Behörden können dies auch mit eigenem Personal tun, solange die Person die Befähigung zum Richteramt besitzt. Der Verfassungsschutz wählte einen anderen Weg: Dort lässt man sich nun von der Großkanzlei Latham & Watkins LLP vertreten, die laut Eigenwerbung in Büros auf der ganzen Welt über 2000 Anwälte beschäftigt. Klingende Namen liest man, wenn man eine Zusammenstellung von wichtigen Fällen betrachtet, in die „LW“ involviert gewesen ist. So vertraten LW beispielsweise das Filmstudio Metro-Goldwyn-Mayer bei der Übernahme durch Sony, oder den Pharmariesen Bayer bei seiner Übernahme der Schering AG. Latham & Watkins spielen international also in der ganz hohen Liga.
Doch auch ein weiterer wichtiger Mandant springt einem ins Auge. Die Kanzlei vertrat in den USA die Sekte Scientology. 2008 starteten die Aktivisten von Anonymous in den USA das „Projekt Chanology“. Neben DDoS-Attacken auf Scientology-Server organisierten sie in den USA und Europa auch Proteste in der Offline-Welt vor Objekten der Sekte. Scientology klagte und wurde dabei von Latham & Watkins vertreten.
Scientology hat kein positives Image, regelmäßig geht die Sekte rigoros gegen Kritiker vor, regelmäßig gibt es große Reportagen in den Medien über die menschenverachtenden Methoden der „Kirche“. Auch Selbstmorde von Ausstiegswilligen oder ehemaligen Mitgliedern gelangen immer wieder an die Öffentlichkeit, oft verbunden mit dem Vorwurf, Scientology hätte sie förmlich in den Suizid getrieben.
Scientology und der Verfassungsschutz
Doch all dies sind in diesem Zusammenhang vermutlich nicht die pikantesten Details. Denn in Deutschland wird Scientology seit 1997 vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet. Immerhin neun Seiten widmen die Schlapphüte der „Scientology-Organisation“ im aktuellen VS-Bericht 2011 des Bundes. All diese Informationen sind leicht zu finden: nämlich bei Wikipedia. Was ist also los beim mecklenburgischen Verfassungsschutz? Ist Caffiers Truppe, die zivilgesellschaftliche Projekte verfolgt und diffamiert, etwa nicht in der Lage Google zu bedienen? Oder hat man dort schlicht keine Berührungsängste mit einer Anwaltskanzlei, die eine in Deutschland als verfassungsfeindliche Organisation eingestufte Sekte verteidigte? Wie passt das mit dem Auftrag „die Verfassung zu schützen“ zusammen?
Die Antworten auf diese Fragen dürften interessant werden. Über die mutmaßlich sündhaft hohen Rechnungen, von denen man annehmen darf, dass eine Wirtschaftskanzlei mit dieser Reputation sie stellt, haben wir im Übrigen noch gar nicht gesprochen. Der Komplex um den VS-Bericht ist also um eine weitere Anekdote reicher und bleibt spannend.
Update, 16.02.2013:
Die Ostsee-Zeitung berichtet heute auch und zitiert Jürgen Suhr, den Chef der Grünen-Fraktion im Landtag, mit den Worten: „Größer kann der Fettnapf nicht sein, in den der Innenminister da gerade tritt“. Suhr kündigte eine Kleine Anfrage im Parlament an und ergänzt: „Die Landesregierung wird sich unbequemen Fragen stellen müssen“. Das Innenministerium gibt sich unterdessen ahnungslos und besitzt „keine Kenntnis darüber, dass Latham & Watkins LLP auch Scientology vertritt“.