Gedanken zum gefallenen Eichenlaub

Als ich gestern die Schlagzeile bei Linksunten sah, eine Aktionsgruppe habe die von Bundespräsident Gauck gefällte deutsche Eiche umgesäbelt, musste ich erst einmal lachen. Ich war nicht traurig, weil hier angeblich ein Leben beendet wurde, sondern fand die Aktion lustig. Traurig, das ist für mich das, was vor 20 Jahren in Rostock passierte, und heutzutage seine Fortsetzung findet.

Als ich jedoch die Reaktionen überflog, die diese Aktion auslöste, gefror mir wahrhaftig das Blut in den Adern. Auf einmal kann ich sehr gut nachvollziehen, was dieser Alt-Antifa auf der Rostocker Demo mit dem Gefühl meinte, als er erzählte, wie durch die Lichtenhagener Pogrome seine Welt vor seinen Augen wie ein Kartenhaus einstürzte und sich im Inneren angesichts der vielen verlorenen Zeit und Arbeit nur noch Frust ausbreitet.

Als sich mein Blutdruck langsam wieder senkte, entschied ich mich, ein paar Gedanken dazu hier in Form eines extra Artikels zu veröffentlichen. Nun mögen einige Menschen der Meinung sein, dass was ich als Einzelner denke, kein Schwein interessiert. Vielleicht tut es das wirklich, meine Meinung wiegt nicht schwerer als die von allen anderen Menschen, aber eben auch nicht leichter.

Nach dem Überfliegen der Kommentarspalten auf linksunten und einigen etablierten Zeitungen, habe ich folgende Grundaussagen herauskristallisiert, auf die ich an dieser Stelle gern eingehen würde:

 

 

„Das Fällen dieser Eiche war destruktiv und lässt die Linke einmal mehr als sinnlose Zerstörer in der Öffentlichkeit dastehen, spielt auf diese Weise den Mainstreammedien in die Hände!“

 

Achja, die alte Keule, die seit Jahren jedeR übergebraten bekommt, der irgendeine Forum von direkter Aktion durchführt. Meistens von Menschen, die allgemein der Meinung sind, antifaschistische Arbeit müsste anders aussehen. Ja, das kann sie vielleicht wirklich, muss sie aber nicht. Über künstlerisch wertvollere Aktionsformen mit stärkerer Symbolwirkung kann sich aber genauso gestritten werden wie über militante. Die Bedeutung landet schließlich nur in den Köpfen derer, die gewillt und auch imstande sind, über sie nachzudenken. Das sind meistens Menschen, die ohnehin schon irgendwie „links“ sind. In der breiten Masse, oder an der „Mitte“, die einige Menschen immer wieder erreichen wollen, geht eine solche Aktion glatt vorbei. Die Lichtenhagener Pogrome von 1992 haben vor allem eines gezeigt: das Akzeptanzproblem linker Positionen in der Bevölkerung hat NICHTS mit Militanz, Destruktivität und Gewalt zu tun! Wir konnten damals erleben, wie teilweise „ganz normale“ Menschen aus der Mitte der Gesellschaft sich mit gewaltbereiten Neonazis solidarisieren, sie anfeuern oder sogar mit ihnen Steine warfen. Bitte was? „mit ihnen Steine warfen“? Ja, genauso, wie dieser Mob Materialblockaden errichtete, vermummt war, Brände legte und Streifenwagen demolierte. Die Linke hätte diesem Mob insofern fast dankbar sein müssen, dass er bei den Aktionen sich durch „Ausländer raus!“-Rufe klar zu erkennen gab. Andernfalls hätte die BILD vermutlich das Ganze als linke Randale verstanden. Diese Protestmethoden -abgesehen von der gezielten Gefährdung von Menschenleben- kennt die Bevölkerung nunmal eher aus der anderen Ecke. Und dennoch: verdammt viele Leute aus der Bevölkerung haben DORT mit Freude mitgemacht. Warum?

Diese Frage kann ich hier nicht beantworten, nur ich denke, sie hat viel damit zu tun, inwieweit es linkes Gedankengut bei einer deutschen Bevölkerung, die seit den 20er Jahren wehement Kommunisten bekämpft, es in die Köpfe der Menschen schaffen kann. Googlet man „sinnlose Gewalt“ als Bildersuche, finden sich jede Menge Bilder von linken Demos, jedoch kein Einziges von Lichtenhagen, des NSU oder des Überfalls auf die „Praxis“ 2011 in Dresden. Deswegen aber jedeN bis aufs Äußerste zu bashen, der eine direkte Aktion durchführt, halte ich für gefährliche Selbstzersetzung. Die Verurteilung aller linken militanten Aktionen durch die Mitte, während rechte Übergriffe offenbar nicht „sinnlos“ sind, zeigt eher das schwere Bildungsdefizit der Masse kombiniert mit den Auswirkungen der gewaltigen Propagandamaschine der Medien. Ich möchte daher darum bitten, vom autonomen Sündenbock Abstand zu nehmen und genug Vertrauen in Mitmenschen zu haben, um sich darauf zu verlassen, dass sie wissen, was sie tun, und gleichzeitig sich dieses  beschriebenen, deutschen Mentalitätsproblems gedanklich anzunehmen.

 

 

Die Aktion der Gruppe antifaschistischer Fuchsschwanz war kindisch“

 

Das ist ebenfalls eine sehr häufig geschwungene Keule. Ich beantworte sie gerne mit einer Gegenfrage: was ist eine erwachsene Aktion? Es gibt Menschen in der Bevölkerung, die bezeichnen das vollständige Beschäftigen mit weltverbesserischen Fragen und das Hinarbeiten auf eine Revolution hin als kindisch. Desillusioniertheit, Resignation und das Eingeständnis der eigenen Ohnmacht sind für derartige Menschen anscheinend ein Zeichen von Reife.

Einen ganz besonderen Kotzreiz löste bei mir ein verlinkter Kommentar in der TAZ aus, in dem ein dort tätiger Journalist namens Deniz Yücel seine verächtliche Meinung gegenüber der autonomen Linken und der Baumfällaktion auf übelstem BILD-Niveau herausrotzt. Betrachtet man diesen Kommentar und viele andere Meinungen die im Internet grassieren, so fällt auf, dass der Aktionsgruppe vor allem Hochstilisierung der eigenen Handlungen vorgeworfen wird, frei nach dem Motto „klasse, und sowas ist nun eine revolutionäre Handlung oder was?“ oder „bringt ihr demnächst deutsche Schäferhunde um, weil Hitler einen hatte?“

Natürlich ist einen Baum fällen nichts „Großes“ sondern ein weiterer, kleiner Schritt unter den Vielen die unternommen werden müssen, wenn irgendwann mal etwas erreicht werden soll, und es waren letztendlich die Mainstreammedien, die die Aktion an die große Glocke hingen, weil es eben nunmal die Eiche war, die unser geliebter Bundespräsident als ein Zeichen „für Frieden“ gepflanzt hatte. Wir alle wissen aber: Joachim Gauck ist eine Lachnummer, ebenso war dieses Eichengepflanze eine Lachnummer. Für mich symbolisiert diese Eiche vor allem eines: Heuchelei! Da wird -rein symbolisch- ein Baum gepflanzt, und das von einem Menschen, der kurz vor seiner Ernennung zum Bundespräsidenten im vergangenen Jahr Thilo Sarrazin als „mutig“ lobte und es begrüßte, dass sein Buch „Deutschland schafft sich ab“ eine längst überfällige Debatte losgetreten hätte, die Deutschland dringend führen müsse.

Diese Eiche hat, völlig ohne den Bezug zur deutschen Geschichte, genau denselben Wert, wie die Menschenkette die alle Jahre wieder in Dresden stattfindet, um „unser schönes Dresden vor Extremisten zu schützen“. Den Baum schließlich umzusäbeln war meinetwegen auch nur eine Symbolaktion, aber vollkommen gerechtfertigt, im Anbetracht der Tatsache, dass Schilder am Baum „bitte hier pinkeln“ vermutlich sehr schnell wieder entfernt worden wären. Wenn wir uns fragen, wie unreif nun eigentlich „die Antifa“, direkte Aktion oder gar Militanz ist, müssen wir uns auch folgende Fragen stellen:

 

Wie unreif waren ägyptische Familienväter, die auf dem Tahrir-Platz an den Straßenschlachten teilnahmen obwohl sie längst aus dem Alterdurchschnitt des mitteleuropäischen Autonomen heraus waren?

 

Warum stand im Teheran bei der letzten Wahl ein Bus quer und brannte aus? Sind die Menschen dort etwa unzivilisiert?

 

 

Am Ende bleibt noch zu sagen, dass die bürgerliche Mitte in Deutschland vor allem eines will: Ruhe. Aufgrund mangelnder Sensibilisierung für wichtige Themen möchte diese Mitte in Ruhe leben, in Ruhe arbeiten und in Ruhe in ihren Mercedes steigen. Die ZEIT interviewte im Anbetracht der letztwöchigen Demo in Rostock zahlreiche Menschen und zeichnete ein Bild, dass die Demo in Lütten Klein und Lichtenhagen unter Anwohnern eher unerwünscht sei, eben weil sie in erster Linie die Ruhe und „Normalität“ stört. Wenn also „Linke“ in ihrem Lebensraum demonstrieren, stört das ihr ruhiges Leben, sie können auch nicht mehr in Ruhe auf Arbeit, da die Straßen blockiert sind und es kann auch vorkommen, dass der Mercedes, den sie in Ruhe fahren, plötzlich auf der Seite liegt. Wer diese Ruhe stört, der ist „ein Chaot“ oder eben ein „Kind“ und radikale linke Aktion wird als Entwicklungsstufe in einem Reifeprozess dargestellt, dessen Ziel in den bürgerlichen Köpfen ein vollständig ausgeprägtes Ruhebedürfnis und das Zurückziehen in die eigenen vier Wände ist.

Es liegt an euch, ob ihr glaubt, diese Definition übernehmen zu wollen…

 

 

Gruß,

 

-ein Mensch der seit langer Zeit aktiv ist